Preisstabilität ist das vorrangige Ziel des Eurosystems.
Geld ist ein Tauschmittel, das dazu dient, mit ihm etwas zu kaufen. Ob die Geldscheine und Münzen im Portemonnaie oder das Guthaben auf der Bank jedoch viel oder wenig wert sind, hängt nicht von den Beträgen im Geldbeutel oder auf dem Konto ab. Der Wert des Geldes bemisst sich allein daran, wie viel Waren und Dienstleistungen man sich für einen gegebenen Geldbestand kaufen kann. Der Wert des Geldes liegt also in seiner Kaufkraft und diese wiederum hängt von den Preisen ab. Je höher die Preise sind, desto geringer ist die Kaufkraft eines gegebenen Geldbetrags. Das Eurosystem hat den gesetzlichen Auftrag, Preisstabilität zu gewährleisten und somit die Kaufkraft des Geldes zu erhalten.
(1) Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden „ ESZB“) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union (…). Das ESZB handelt im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird (…).
Beim geldpolitischen Ziel, Preisstabilität zu gewährleisten, geht es nicht um die Stabilität einzelner Preise. Vielmehr sollen die Preise nur im Durchschnitt stabil bleiben. Das heißt, Preisanstiegen bei einigen Gütern sollen Preisrückgänge bei anderen Gütern gegenüberstehen, sodass das Preisniveau in der Volkswirtschaft insgesamt unverändert und die Kaufkraft somit erhalten bleibt.
In einer Marktwirtschaft müssen die Preise beweglich sein.
Damit eine Marktwirtschaft reibungslos funktioniert, müssen die Preise für Waren und Dienstleistungen beweglich sein. Nur so zeigen sie die Knappheit von Gütern an (Signalfunktion) und bringen Angebot und Nachfrage zum Ausgleich (Markträumungsfunktion).
Die meisten Menschen achten bei ihren Kaufentscheidungen auf Qualität, Aussehen und Funktionalität der gewünschten Güter. Genauso wichtig ist jedoch oft der Preis. In der Regel gilt: Je günstiger ein Produkt ist, desto stärker wird es nachgefragt. Dies zeigen zum Beispiel Sonderangebote. Somit kann man festhalten: Sinkt der Preis, dann steigt üblicherweise die nachgefragte Menge, sofern alle sonstigen Bedingungen gleichbleiben. Und umgekehrt gilt: Steigt der Preis, geht die Nachfrage entsprechend zurück.
Was für die Nachfrageseite gilt, trifft auch auf die Angebotsseite zu – jedoch mit entgegengesetztem Vorzeichen: Steigt der Preis, so steigt in der Regel auch die angebotene Menge. Bestehende Anbieter werden bei steigenden Verkaufspreisen ihre Produktion ausweiten. Gleichzeitig kommen mittelfristig auch neue Anbieter auf den Markt, um von den verbesserten Geschäftsmöglichkeiten zu profitieren. Sinkt hingegen der Preis, dann ist die Produktion des entsprechenden Gutes nicht mehr so gewinnbringend, folglich sinkt auch das Angebot. Einige weniger wettbewerbsfähige Anbieter werden ihr nun unrentables Angebot sogar ganz einstellen.
Bewegliche Preise sorgen für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage.
Sofern sich Preise frei bewegen können, sorgt dieser „Preismechanismus“ für einen Ausgleich von angebotener und nachgefragter Menge: Der Preis wird sich auf derjenigen Höhe einpendeln, bei der genau diejenige Menge des Gutes angeboten wird, für die es eine entsprechende Nachfrage gibt. Angebotene und nachgefragte Menge befinden sich bei freier Preisbildung im Gleichgewicht.
Von Preis- oder Preisniveaustabilität spricht man dann, wenn sich das Preisniveau im Zeitablauf nur wenig ändert, auch wenn einzelne Preise steigen oder fallen.
Preisstabilität: Das Preisniveau soll stabil bleiben.
Ein Anstieg des Preisniveaus wird als Inflation bezeichnet (von lat.„inflare“: aufblasen). Den prozentualen Anstieg des Preisniveaus zwischen zwei Zeitpunkten nennt man Inflationsrate, Preissteigerungsrate oder auch Teuerungsrate. Sie wird in der Regel im Jahresvergleich angegeben und gibt somit die Veränderung gegenüber dem Zustand zwölf Monate zuvor wieder. Wenn also zum Beispiel in der Zeitung steht, dass die Inflationsrate im Januar 2022 4,9 % betragen habe, dann bedeutet dies, dass das Preisniveau im Januar 2022 um 4,9 % höher lag als im Januar 2021.
Den entgegengesetzten Prozess, also einen Rückgang des Preisniveaus, nennt man Deflation. Den prozentualen Rückgang des Preisniveaus zwischen zwei Zeitpunkten bezeichnet man dementsprechend als Preissenkungs- oder Deflationsrate. Oft ist aber auch – eigentlich paradox – von einer „negativen Preissteigerungsrate“ oder einer „negativen Inflationsrate“ die Rede. Deflation herrscht allerdings nur dann, wenn das Preisniveau nicht bloß kurzzeitig, sondern über einen längeren Zeitraum sinkt.
Ist eine positive Inflationsrate über einige Zeit hinweg rückläufig – sie sinkt zum Beispiel von 3,6 % über 2,5 % auf 1,3 % – und bleibt dabei aber positiv, wird von sinkenden Inflationsraten, abnehmender Inflation oder „Disinflation“ gesprochen.
Wenn das Preisniveau steigt, dann sinkt der Wert des Geldes. Mit anderen Worten: Die Kaufkraft des Geldes nimmt bei steigendem Preisniveau ab, weil man für einen gegebenen Geldbetrag weniger Waren und Dienstleistungen kaufen kann als zuvor. Man sagt auch: Der reale, das heißt der in Gütereinheiten gemessene Geldwert, geht infolge von Inflation zurück. Über einen längeren Zeitraum betrachtet kann der Kaufkraftverlust beträchtliche Ausmaße annehmen, auch wenn die Inflationsrate auf den ersten Blick als recht gering erscheinen mag. Wie die Grafik zeigt, haben 100 Euro bei einer jährlichen Inflationsrate von 4 % in zehn Jahren nur noch eine Kaufkraft von knapp 68 Euro heute. Nach 50 Jahren erhält man bloß noch Güter im heutigen Gegenwert von 14 Euro.
Ursachen für Veränderungen des Preisniveaus sind in der kürzeren Frist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das entsprechende Angebot. Nimmt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu, führt dies zu einem Preisdruck, also zu Inflation, sofern alle sonstigen Bedingungen in der Volkswirtschaft unverändert bleiben. Man spricht in diesem Kontext von nachfrageinduzierter Inflation.
Auf kürzere Frist wird Inflation von Angebot und Nachfrage bestimmt.
Hierfür kann es verschiedene Gründe geben. Zum Beispiel könnten Unternehmen zuversichtlicher in die Zukunft blicken, neue Geschäftsmöglichkeiten entdecken und dementsprechend ihre Investitionen in Maschinen und Anlagen oder auch in Forschung und Entwicklung steigern. Denkbar ist auch, dass die gestiegene Investitionsnachfrage der Unternehmen auf gesunkene Zinssätze zurückzuführen ist. Hierdurch sind kreditfinanzierte Investitionen günstiger und werden somit eher getätigt als bei höheren Zinssätzen. Auch private Haushalte reagieren mit ihren Ausgaben oftmals auf Änderungen ihrer Finanzierungsbedingungen. Sinken die Zinssätze, steigt in der Regel die Nachfrage der Haushalte ebenfalls. Dieser Zusammenhang ist volkswirtschaftlich insbesondere dann relevant, wenn die sinkenden Zinssätze die Nachfrage nach höherpreisigen, langlebigen Gütern ansteigen lässt, wie zum Beispiel nach Küchen oder Autos. Um diese Anschaffungen zu finanzieren, braucht es nämlich in der Regel erhebliche Geldbeträge, die häufig als Kredit aufgenommen werden. Schließlich ist auch denkbar, dass eine steigende gesamtwirtschaftliche Nachfrage auf eine höhere Nachfrage des Staates für Konsum- und Investitionszwecke oder auf eine steigende Nachfrage des Auslands (Exporte) zurückgeht.
Nimmt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage hingegen ab, gilt das Gegenteil. Eine sinkende Nachfrage führt tendenziell zu einem verringerten Preisdruck und somit auch zu einer sinkenden Inflation oder – im seltenen Extremfall – zu einer anhaltenden, krisenhaften Deflation.
Einfluss auf das Preisniveau haben auch Änderungen auf der Angebotsseite. Da diese angebotsseitigen Änderungen in der Regel mit Kostenänderungen einhergehen, spricht man in diesem Zusammenhang von kosteninduzierter Inflation. Zu denken ist hierbei zum Beispiel an höhere Produktionskosten infolge steigender Energiepreise, da Energie als Vorleistung für nahezu jedes Gut einer Volkswirtschaft benötigt wird. Auch gestörte Lieferketten können die Vorleistungskosten für Unternehmen deutlich erhöhen. Gleichfalls sind Löhne für Unternehmen ein wichtiger Kostenblock. Unternehmen werden in der Regel versuchen, ihre steigenden Kosten auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu überwälzen. Auf steigende Produktionskosten folgen also oftmals steigende Preise, es kommt zur Kostendruckinflation.
Auf längere Frist ist Inflation stets ein monetäres Phänomen.
Langfristig beeinflusst das Wachstum der Geldmenge die Preisniveauentwicklung. Es kann nämlich nur dann zu einer anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Preissteigerung kommen, wenn der Anstieg der Preise durch eine entsprechende Geldvermehrung „finanziert“ wird. Zwar führt nicht jeder übermäßige Anstieg der Geldmenge zwingend zu höherer Inflation, jedoch geht – aus der anderen Richtung betrachtet – eine anhaltend höhere Inflation immer mit einem übermäßigen Wachstum der Geldmenge einher. Daher lautet eine seit Jahrzehnten bekannte volkswirtschaftliche Erkenntnis, dass Inflation auf lange Sicht letztlich stets und überall ein monetäres Phänomen ist (monetär = geldlich, von lat. moneta: Münzprägestätte, geprägtes Geld). Inflation hat also langfristig betrachtet immer mit Geld und der Entwicklung der Geldmenge zu tun – eine Erkenntnis, die vielfach durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt wird.
Eine Phase, in der die Inflation bereits ausgesprochen hoch ist, jedoch zusätzlich noch weiter steigt und schließlich außer Kontrolle gerät, wird als Hyperinflation bezeichnet. Mit einer Hyperinflation geht einher, dass das Geldwesen zerstört wird. In einer solchen Phase verliert das Geld seine Funktionen, es ist nicht mehr als Zahlungsmittel, als Recheneinheit oder zur Wertaufbewahrung geeignet und wird von den meisten Menschen nicht mehr akzeptiert. Obwohl es keine einheitliche Definition gibt, gelten Inflationsraten von mehr als 50 % pro Monat als Zeichen einer Hyperinflation. Eine monatliche Inflationsrate in Höhe von 50 % bedeutet, dass das Preisniveau im Laufe eines Jahres auf mehr als das Hundertfache ansteigt, das Geld also mehr als 99 % seiner Kaufkraft verliert.
In Deutschland kam es im Jahr 1923 zu einer Hyperinflation, die zur prägenden Erfahrung einer ganzen Generation wurde. Vorangegangen war der Erste Weltkrieg, in dem die Regierung die Reichsbank anwies, ihr unbeschränkt Kredite zu gewähren. Dadurch konnte sie rund ein Drittel der Kriegskosten mit der Banknotenpresse finanzieren, also durch das Drucken von Geld. Als Folge erhöhte sich der Umlauf an Reichsbanknoten zwischen 1914 und 1918 von 2,6 auf 22,2 Milliarden Mark. Der Geldwert sank und die Preise stiegen. Nach dem Krieg setzte die Weimarer Republik die Schuldenpolitik fort. Etwa drei Viertel ihrer Ausgaben finanzierte die Regierung über den Verkauf von Schuldpapieren an die Reichsbank. Die Geldmenge wuchs immer weiter. Gleichzeitig verlor die Mark ihre Kaufkraft. Mitte November 1923 – auf dem Höhepunkt der Hyperinflation – kostete ein Brot mehr als 230 Milliarden Mark. Während der Hyperinflation stiegen die Preise so schnell, dass die Reichsbank mit dem Drucken neuer Banknoten nicht nachkam. Deshalb begannen Städte, Gemeinden und Unternehmen, Notgeld herzustellen – teils mit Genehmigung der Reichsbank, teils ohne. Am Ende der Inflation im November 1923 waren 496 Trillionen Mark in Reichsbanknoten und 727 Trillionen Mark in Form von Notgeldscheinen in Umlauf.
Um die Inflation zu beenden, führte die deutsche Regierung im November 1923 eine Währungsreform durch. Die eigens dafür gegründete Deutsche Rentenbank gab Rentenmark-Scheine aus. Das Gesamtvolumen war auf 3,2 Milliarden Rentenmark begrenzt. Ab 20. November 1923 konnte die inflationäre Mark-Währung im Verhältnis von einer Billion zu eins in Rentenmark getauscht werden. Eine strikt am Erhalt des Geldwerts orientierte Geldpolitik und die Sanierung der öffentlichen Haushalte hielten die Rentenmark stabil.
Eine Hyperinflation ist jedoch kein Phänomen lediglich aus der fernen Vergangenheit. Sie kann auch heutzutage jederzeit wieder auftreten. So erlebte beispielsweise Simbabwe im November 2008 eine Phase, in der sich die Preise alle 24,7 Stunden verdoppelten. Die Regierung ließ Geldscheine mit immer größeren Nominalwerten drucken (zuletzt mit einem Wert von 100 Billionen Simbabwe-Dollar), heizte dadurch die Geldentwertung immer mehr an und musste schließlich im Februar 2009 den Simbabwe-Dollar aufgeben. Auch in Venezuela schritt die Geldentwertung einige Jahre lang rasant voran. Im Jahr 2018 lag die Inflationsrate laut venezolanischer Zentralbank dann bei gut 130.000 %.
Änderungen des Preisniveaus lassen sich nicht anhand einzelner Preise messen.
Ob sich das Preisniveau und somit die Kaufkraft des Geldes verändert, kann nicht mithilfe einiger weniger Preise gemessen werden. Ausschlaggebend ist vielmehr, wie sich sämtliche Preise einer Volkswirtschaft im Durchschnitt entwickeln. Jedoch ist es faktisch unmöglich, Millionen Einzelpreise aller Waren und Dienstleistungen erheben zu wollen. Daher wird die Veränderung des Preisniveaus stattdessen mithilfe der Preisentwicklung einer geeigneten Auswahl von Gütern ermittelt.
Die Preisniveauentwicklung wird mithilfe eines Warenkorbs ermittelt.
Für die passende Güterauswahl stellt das Statistische Bundesamt auf Basis einer regelmäßigen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe einen repräsentativen „Warenkorb“ zusammen. Er umfasst rund 650 Güterarten in 12 Güterkategorien. Dieser Korb enthält ganz verschiedene Waren und Dienstleistungen, die für das Konsumverhalten eines durchschnittlichen Haushalts in Deutschland typisch sind. Er enthält solch unterschiedliche Dinge wie Lebensmittel und Kleidung, Wohnungsmieten und Versicherungsprämien, ebenso Dienstleistungen wie etwa Friseurbesuche, aber auch selten gekaufte Güter wie Autos und Waschmaschinen. Auch Dinge, die nicht alltäglich sind, sind Teil des Warenkorbes, beispielsweise eine Seilbahnfahrt, ein Fischereiberechtigungsschein oder Bestattungsleistungen.
Um immer die aktuell relevanten Produktvarianten in die Preismessung einzubeziehen, wird der Warenkorb laufend aktualisiert. Innerhalb einer Güterart werden also die konkreten Einzelprodukte, deren Preise erfasst werden (die sogenannten Preisrepräsentanten), regelmäßig ausgetauscht. Insgesamt erfasst das Statistische Bundesamt jeden Monat über 300.000 Einzelpreise in Geschäften, Katalogen und im Internet. Für die Preismessung werden jeweils die Anschaffungspreise einschließlich Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuern erhoben.
Ein vereinfachtes Beispiel illustriert die Berechnung eines Preisindex und die Messung der allgemeinen Preisentwicklung: Angenommen, ein repräsentativer Warenkorb der jährlichen Ausgaben eines Haushalts besteht aus 100 Tafeln Schokolade, 50 Flaschen Apfelsaft, 10 Kinobesuchen und einem Paar Schuhe, dann würde sich der Preisindex anhand dieses Warenkorbs wie in der Tabelle errechnen.
Der Preis des Warenkorbs ergibt sich dadurch, dass man die Menge mit den jeweiligen Preisen multipliziert und diese Ergebnisse addiert (Ausgabensumme). Da es bei sehr vielen Preisen in einem Warenkorb nicht mehr zweckmäßig ist, mit dessen Ausgabensumme zu arbeiten, werden die Veränderungen mithilfe des Preisindex angegeben. Dafür wird die Ausgabensumme des ersten Jahres (Basisjahr) auf 100 gesetzt (300 € entsprechen 100). Dieser Wert dient als Bezugsgröße für die folgenden Jahre. Die Preissteigerungsrate ( Inflationsrate) stellt die relative Preisänderung bezogen auf das Vorjahr dar. Wie aus dem Beispiel hervorgeht, kann der Preisindex auch steigen, obwohl einzelne Preise fallen.
Bei der Preismessung werden auch Mengenänderungen berücksichtigt.
In diesem Zusammenhang berücksichtigt die amtliche Preismessung nicht bloß den ausgewiesenen Preis, sondern auch etwaige Mengenänderungen. Falls sich beispielsweise der Packungsinhalt eines Produkts geändert hat, während Qualität und Preis gleichgeblieben sind, führen die Statistiker für die korrekte Preismessung eine Mengenbereinigung durch. Das heißt: Hat dasselbe Produkt zum Beispiel trotz verringerter Menge (etwa geringerer Packungsinhalt) denselben Preis wie zuvor, wird dieser Umstand als „versteckte“ Preiserhöhung erfasst. Die hier geschilderte Preisbereinigungsmethode wird typischerweise im Bereich der Nahrungsmittel und anderer Verbrauchsgüter angewandt.
AAuf Basis der ermittelten Preise der Güter im Warenkorb berechnet das Statistische Bundesamt (Destatis) monatlich den Verbraucherpreisindex (VPI) in Deutschland. Dieser misst die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen. Die Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat, also gegenüber dem Zustand zwölf Monate zuvor, wird in Prozent ausgedrückt und als Inflationsrate bezeichnet. Die Veränderung des VPI ist derjenige Wert, der in den Nachrichten gemeint ist, wenn von der Inflationsrate in Deutschland die Rede ist.
Je höher der Ausgabenanteil, desto größer die Auswirkung auf den Preisindex.
Bei der Berechnung des Verbraucherpreisindex fließen die Preisänderungen der einzelnen Güterarten mit unterschiedlichem Gewicht in den Gesamtwert ein. Je höher der Anteil der Konsumausgaben ist, der auf eine bestimmte Güterkategorie entfällt, desto deutlicher spiegeln sich deren Preisänderungen folglich im Preisindex wider. Die jeweiligen Ausgabenanteile und somit die Gewichte der einzelnen Güterkategorien für die Indexberechnung werden im Wägungsschema zusammengefasst.
Der Warenkorb wird auf der Ebene der Einzelprodukte laufend aktualisiert. Hingegen hält das Statistische Bundesamt beim Berechnen des Verbraucherpreisindex das Wägungsschema eines Basisjahres bewusst für fünf Jahre konstant, denn der Preisindex soll nur die Preisänderungen und nicht geänderte Konsumgewohnheiten widerspiegeln. Preisänderungen ließen sich nicht mehr isoliert erkennen, sofern bei der amtlichen Preismessung auch die Ausgabengewichte monatlich geändert würden, falls sich also das „Einkaufsverhalten“ ständig änderte.
In der amtlichen Preisstatistik soll die Veränderung von Preisen so gemessen werden, dass sie von Änderungen der Qualität der Ware oder Dienstleistung möglichst unbeeinflusst bleibt. Der technische Fortschritt führt nun aber dazu, dass viele Produkte stetig weiterentwickelt und oftmals verbessert werden. Daher kann man zahlreiche Güter nach einer gewissen Zeit in ihrer ursprünglichen Variante gar nicht mehr kaufen – man denke zum Beispiel an die technischen Fortschritte des Mobiltelefons im Verlauf der vergangenen 20 Jahre. Tritt ein weiterentwickeltes Produkt an die Stelle des bislang beobachteten, müssen die Statistiker spezielle Methoden der Qualitätsbereinigung anwenden, um die gemessene Preisveränderung aussagekräftig bewerten zu können.
Für die korrekte Preismessung müssen Qualitätsänderungen herausgerechnet werden.
Für die korrekte Inflationsmessung bedeuten Qualitätsänderungen folgendes: Steigt mit den Preisen gleichzeitig auch die Qualität der betrachteten Güter, muss zwischen der reinen Preiserhöhung und demjenigen Preisanstieg unterschieden werden, der auf die verbesserte Produktgüte zurückgeht. In diesen Fällen wird der durch die Qualitätsänderung hervorgerufene Preisunterschied abgeschätzt und bei der Berechnung des Verbraucherpreisindex herausgerechnet. Mit anderen Worten: Falls der Preis lediglich qualitätsbedingt gestiegen ist, bedeutet dies keinen Kaufkraftverlust, da die Konsumenten mit dem neuen, qualitätsverbesserten Produkt nun auch „mehr für ihr Geld“ bekommen als zuvor. Durch Qualitätsbereinigungsverfahren wird also gewährleistet, dass bei der Preismessung trotz Produktänderungen „Gleiches mit Gleichem“ verglichen wird. Auf diese Weise können die ermittelten Preisänderungen dann als „reine“ Preisentwicklung interpretiert und von der qualitätsbedingten Preisänderung unterschieden werden.
Die Statistiker haben verschiedene Verfahren entwickelt, um die gemessene Preisentwicklung vor dem Hintergrund der sich oftmals ändernden Produktqualität zu bereinigen. Nicht alle Bereinigungsverfahren werden gleichzeitig angewandt. Stattdessen bedienen sich Statistikbehörden jeweils einer geeigneten Auswahl von Methoden.
Eine Qualitätsbereinigung lässt sich beispielsweise durch das Ermitteln geldwerter Vorteile erreichen. Das heißt, dass sich bei manchen Produkten durch das Einbeziehen ergänzender Informationsquellen bestimmen lässt, welchen konkreten, in Geld bemessenen zusätzlichen Nutzen ein neues Produktmodell für die Konsumenten hat. Typische Fälle für diesen Zusatznutzen sind sinkende Verbrauchswerte technischer Geräte. Statistiker rechnen zum Beispiel bei einer neuen Waschmaschine den geringeren Stromund Wasserverbrauch als geldwerten Vorteil aus dem Preis für die Waschmaschine heraus.
Eine andere Methode, um Qualitätsänderungen zu berücksichtigen, besteht darin, Preise von Zusatzoptionen zu nutzen. Die Statistiker wenden dieses Bereinigungsverfahren meist dann an, wenn ein bestimmtes Produktmerkmal ursprünglich ein Extra war, inzwischen jedoch zum Standard geworden ist, zum Beispiel die Einparkhilfe bei Autos. In solchen Fällen kann ein Teil des Betrages, der früher laut Listenpreis für die Zusatzoption zu zahlen war, als Geldwert des Qualitätsunterschiedes angesetzt und somit aus der Preisänderung herausgerechnet werden.
Sogenannte „hedonische“ Methoden schließlich werden insbesondere dort zur Qualitätsbereinigung der Preismessung angewandt, wo die beobachteten Produkte in kurzer Zeit einer starken Veränderung unterliegen, beispielsweise Computer und Smartphones. Bei diesen Produkten gehen mit den häufig stattfindenden Preisänderungen vielfach auch Produktwechsel einher. Mittels hedonischer Verfahren wird berechnet, welchen Einfluss einzelne Produktmerkmale (etwa Speichergröße oder Prozessorleistung) auf den Produktpreis haben. So kann man den Geldwert des Qualitätsunterschieds zwischen altem und neuem Modell ermitteln und von der „reinen“ Preisänderung trennen.
Das vorrangige Ziel der Geldpolitik des Eurosystems ist es, Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Hierfür wird ein Maß benötigt, mit dem sich die durchschnittliche Preisentwicklung im gesamten Währungsraum messen lässt. Dies ist der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI). Dieser wird von jedem Euro-Land aus dem jeweiligen nationalen Verbraucherpreisindex nach gemeinsam abgestimmten Methoden abgeleitet. Die Veränderungsrate des HVPI unterscheidet sich in Deutschland meist nur um ein oder zwei Zehntelprozentpunkte von der anhand des VPI gemessenen Teuerungsrate.
Der HVPI ist das zentrale Maß für Preisstabilität im Euroraum.
Die einzelnen Euro-Mitgliedsländer melden ihre monatlich erhobenen Ergebnisse zum HVPI an das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat). Dieses berechnet daraus den HVPI für den Euroraum. Nicht der EZB-Rat oder das Eurosystem messen also die Preisentwicklung, sondern Eurostat als die von der Geldpolitik unabhängige europäische Statistikbehörde. Beim Aggregieren der Länderdaten zum HVPI des Euroraums wird berücksichtigt, welchen Anteil jedes Land an den gesamten Konsumausgaben des Euro-Währungsgebiets hat. Die nationalen Inflationsdaten fließen also mit unterschiedlichen Gewichten in den HVPI des Euroraums ein.
Die Veränderungsrate des HVPI gegenüber dem Vorjahresmonat ergibt die Inflationsrate im Euroraum. Der HVPI ist somit auch die Messlatte, mit der die Öffentlichkeit überprüfen kann, ob es dem Eurosystem gelingt, Preisstabilität zu gewährleisten und somit seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Der HVPI als Inflationsmaß hat sich seit Beginn der Währungsunion bewährt. Der EZB-Rat hat im Sommer 2021 seine Eignung abermals unterstrichen. Gleichzeitig hat er empfohlen, den Index weiterzuentwickeln, indem die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum perspektivisch in die Berechnung einfließen sollen.
Seit Einführung des Euro hat die jährliche Inflationsrate im Euroraum von Jahr zu Jahr geschwankt. Im Jahr 2008 trieben insbesondere die steigenden Energiepreise die Inflationsrate nach oben. Doch schon im Jahr darauf führte der durch die Finanzkrise verursachte Einbruch der globalen Wirtschaftstätigkeit zu einem starken Rückgang des Inflationsdrucks. Kurzzeitig ging im zweiten Halbjahr 2009 das Preisniveau sogar zurück.
In den Jahren nach 2012 waren es dann maßgeblich die sinkenden Energiepreise, die für einen deutlichen Rückgang der Inflationsrate im Euroraum sorgten. Hinzu kam die Wirtschaftskrise in einigen Euro-Ländern, die den Preisdruck ebenfalls erheblich dämpfte. In den Jahren 2015 und 2016 betrug die Inflationsrate lediglich 0,2 %, das Preisniveau im Euroraum war in diesem Zeitraum also nahezu unverändert gegenüber dem jeweiligen Vorjahr. Auch im Jahr 2020 war die Inflationsrate sehr niedrig, was den Wirtschaftseinbruch infolge der Corona-Pandemie widerspiegelte. Jedoch bereits im darauffolgenden Jahr 2021 sorgten angebotsseitige Engpässe und stark steigende Energiepreise für einen wieder deutlich höheren allgemeinen Preisdruck. Im Verlauf des Jahres 2022 stieg die Inflationsrate weiter an und erreichte im Herbst 10 %. Um die Inflation zu dämpfen, begann der EZB-Rat im Juli 2022 mit Leitzinserhöhungen.
Die Inflationsraten der einzelnen Euro-Länder weichen oftmals vom euroraumweiten Durchschnitt ab. In diesen Abweichungen spiegelt sich unter anderem wider, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Ländern unterschiedlich verläuft. Während beispielsweise das eine Land einen konjunkturellen Aufschwung mit sinkender Arbeitslosigkeit und höherem Lohn- und Preisdruck erlebt, kann sich die Wirtschaftsentwicklung gleichzeitig in einem anderen Land abschwächen, die Arbeitslosigkeit steigt und der Preisauftrieb lässt nach.
Preisstabilität hat eine hohe wirtschaftliche sowie soziale Bedeutung.
Preisstabilität ist auf längere Sicht eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass eine Marktwirtschaft reibungslos funktioniert, die Wirtschaft nachhaltig wächst und die Einkommens- und Vermögensverteilung nicht durch Inflation verzerrt wird. Stabiles Geld ist auch konkrete Sozialpolitik, da Geldwertstabilität insbesondere die „kleinen Leute“ vor inflationsbedingten Vermögensverlusten und somit vor schleichender Enteignung schützt.
Wenn das Preisniveau insgesamt weitgehend stabil bleibt, sind Veränderungen der relativen Preise – also der Verhältnisse der Güterpreise zueinander – leicht zu erkennen. Die Preisbewegungen signalisieren dann unverfälscht, ob ein Gut knapper wird oder reichhaltiger vorhanden ist, ob es stärker oder schwächer nachgefragt wird. Diese Preissignale sind wichtig für die Produktions- und Konsumentscheidungen von Unternehmen und privaten Haushalten. Das Auf und Ab der Güterpreise lenkt die knappen volkswirtschaftlichen Ressourcen jeweils dorthin, wo die Nachfrage groß ist.
Stabiles Geld ist für das Funktionieren des Preismechanismus wichtig.
Inflation verzerrt die Signal- und Lenkungsfunktion des Preismechanismus und stört somit den zentralen Steuerungsmechanismus einer Marktwirtschaft. Preisstabilität sicherzustellen und damit zur Planungssicherheit von Unternehmen und Haushalten beizutragen, ist daher der beste Beitrag, den die Geldpolitik zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum und hohem Beschäftigungsstand leisten kann.
Hinzu kommt: Bei höheren Inflationsraten verlangen Geldgeber oft einen Aufschlag auf den Zinssatz als Entschädigung für die Unsicherheit bezüglich der Höhe der kommenden Geldentwertung. In einem weitgehend preisstabilen Umfeld ist diese sogenannte Inflationsrisikoprämie hingegen gering und somit sind die Zinssätze insgesamt niedriger. Niedrigere Zinssätze ihrerseits fördern Investitionen, Wirtschaftswachstum und das Entstehen von Arbeitsplätzen.
Stabiles Geld sichert den realen Wert der Einkommen und Ersparnisse und wirkt hierdurch einer Umverteilung entgegen.
Die Erfahrung lehrt, dass Inflation besonders zu Lasten wirtschaftlich schwächerer Bevölkerungsgruppen geht. Vor allem diejenigen, die feste Zahlungen wie Rente oder Sozialleistungen erhalten, sind oftmals benachteiligt, denn diese Zahlungen werden zumeist nicht regelmäßig und im gleichen Maße an die Geldentwertung angepasst.
Stabiles Geld schützt Sparer, die den Folgen von Inflation oft nur schlecht ausweichen können.
Auch verfügen Bevölkerungsgruppen mit kleinem Einkommen in aller Regel nicht über bedeutendes Sachvermögen, sondern lediglich über Erspartes. Sie können somit den negativen Wirkungen der Inflation nur schlecht ausweichen. Kommt es nämlich zu unerwarteten Preissteigerungen, verlieren solche Sparguthaben an Kaufkraft. Zwar steigen mit der Inflation tendenziell auch die Zinssätze für Kontoguthaben. Dies passiert in der Regel aber nur zeitverzögert und auch nicht in demselben Ausmaß, wie die Inflation steigt. In realer Rechnung – also nachdem man vom Zinssatz die Inflationsrate abgezogen hat – kann die Verzinsung dann schnell negativ werden.
Inflation erschwert dadurch den Vermögensaufbau breiter Bevölkerungsschichten und führt auch dazu, dass die Kaufkraft der privaten Altersvorsorge schwindet. Das dämpft die Attraktivität der privaten Vorsorge, was langfristig zu einer Zunahme der Altersarmut führen kann und somit negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hätte.
Durch Inflation werden auch diejenigen benachteiligt, die Steuern zahlen, da sie der sogenannten kalten Progression ausgesetzt sind. Dies bedeutet, dass in einem Steuersystem wie dem deutschen, das nominale Größen (wie Einkommen) besteuert, auch bei rein inflationsbedingten Einkommenszuwächsen höhere Steuersätze zum Tragen kommen, ohne dass sich das Einkommen in realer Betrachtung erhöht hätte. Anders formuliert: Selbst dann, wenn das Einkommen bloß im selben Maße wie die Inflation steigt, nimmt infolge der kalten Progression die durchschnittliche Steuerlast zu. Der Staat hat preisbereinigt folglich mehr Geld zur Verfügung, die privaten Haushalte und Unternehmen weniger. Auch das fördert auf lange Sicht nicht die Wirtschaftsdynamik in einem Land.
Den Kaufkraftverlusten, die Sparer im Fall einer unerwartet hohen Inflation erleiden, stehen die Kaufkraftgewinne der Schuldner gegenüber. Letztere werden tendenziell begünstigt, da ihre nominal fixierten Schulden bei höherer Inflation in realer Betrachtung – also um den Preisanstieg bereinigt – abnehmen. Mit anderen Worten: Der Rückzahlungsbetrag bestehender Schulden bleibt gleich, auch wenn die Inflation deutlich steigt, während das zurückgezahlte Geld inflationsbedingt weniger Kaufkraft hat, also weniger wert ist.
Aber auch aus Sicht der Schuldner ist Inflation häufig mit negativen Folgen verbunden. Denn gerade in Zeiten sich beschleunigender Inflationsraten entstehen Anreize für eine höhere Schuldenaufnahme, um zum Beispiel Sachwerte wie Immobilien zu finanzieren. Eine derartige kreditfinanzierte „Flucht in Sachwerte“ ist aber weder aus individueller noch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimal. Unternehmen und Haushalte treffen bei Inflationsfurcht oftmals Entscheidungen, die nicht aus sich heraus wirtschaftlich sinnvoll sind. Stattdessen sollen diese Entscheidungen dazu dienen, den negativen Folgen der Inflation möglichst auszuweichen. Hierfür wird zum Beispiel in Immobilien investiert, nicht aber in die Anschaffung neuer Maschinen, mit denen sich die Produktion ausweiten ließe. Volkswirtschaftliche Ressourcen werden somit fehlgeleitet. Wenn es dann noch zu Preisblasen am Immobilienmarkt kommt und diese schließlich platzen, kann das nicht nur hohe Verluste für die Investoren bedeuten, sondern auch mit einer massiven Wirtschaftskrise einhergehen.
Stabiles Geld nützt letztlich allen.
Zusammenfassend gilt also: Andauernde und womöglich ausufernde Inflation greift die Grundlagen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleich von mehreren Seiten an. Sie verschärft Verteilungskonflikte in der Gesellschaft und führt auf Dauer zu Verlusten bei Wachstum und Beschäftigung. Daher gilt: Stabiles Geld nützt allen.
Auch Deflation, also ein dauerhaft sinkendes Preisniveau, kann gesamtwirtschaftlich schädlich sein. Denn auch dann wird – ähnlich wie bei Inflation – die Signalwirkung der Preise verzerrt und es kann zu unerwünschten Umverteilungseffekten zwischen Sparern und Schuldnern kommen.
Auch Deflation kann gesamtwirtschaftlich schädlich sein.
Von Deflation im engeren, volkswirtschaftlich schädlichen Sinne spricht man im Falle einer wirtschaftlichen Krisensituation mit einem sich verstärkenden Rückgang von Preisen und Löhnen. Rückläufige Preise erscheinen im ersten Moment aus Sparer- und Verbrauchersicht positiv. Allerdings kann diese Entwicklung dazu führen, dass Konsumausgaben in Erwartung weiter sinkender Preise aufgeschoben werden. Dadurch können Unternehmen gezwungen werden, ihre Produktion einzuschränken und ihre Verkaufspreise weiter zu reduzieren, verbunden mit sinkenden Löhnen und Arbeitsplatzabbau. Dies kann im Extremfall zu einer gesamtwirtschaftlichen Abwärtsspirale führen, bei der sich Preis- und Lohnsenkungen, Produktionsrückgänge und zunehmende Arbeitslosigkeit gegenseitig verstärken.
Außerdem kann sich in einer Deflation die reale Schuldenlast von Unternehmen, aber auch von privaten Haushalten, deutlich erhöhen und am Ende sogar erdrückend werden. Während in einer Deflation die Preise für die von den Unternehmen angebotenen Güter zurückgehen und die Löhne tendenziell sinken, bleiben die Rückzahlungsbeträge für Kredite unverändert. Die reale Belastung bestehender Rückzahlungsverpflichtungen nimmt in einem Umfeld allgemein sinkender Preise also zu. Eine solche Entwicklung kann zu vermehrten Insolvenzen und einem Anstieg der notleidenden Kredite in den Bilanzen von Banken führen. Dies wiederum kann die Stabilität des Finanzsystems gefährden und die Volkswirtschaft zusätzlich belasten.
Vorrangiges Ziel der Geldpolitik des Eurosystems ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Nach Auffassung des EZB-Rats kann dies am besten erreicht werden, wenn er eine Inflationsrate in Höhe von 2 % in der mittleren Frist anstrebt. Dieses im Juli 2021 veröffentlichte Inflationsziel ist symmetrisch angelegt, das heißt, negative Abweichungen von diesem Zielwert sind ebenso unerwünscht wie positive. Der Grund für die mittelfristige Ausrichtung liegt darin, dass geldpolitische Maßnahmen erst mit einer bestimmten Zeitverzögerung die Preisniveauentwicklung beeinflussen – oftmals geht man von circa eineinhalb Jahren aus. Einer unerwünschten Preisentwicklung kurzfristig mit den Mitteln der Zentralbank entgegenwirken zu wollen, ist somit gar nicht möglich. Mittelfristig könnte ein solcher Ansatz unbeabsichtigte Preisentwicklungen sogar noch verstärken.
Mit dem Zielwert von 2 % bekommt die Öffentlichkeit einen Maßstab, um die Geldpolitik zu beurteilen.
Das symmetrische Inflationsziel stellt klar, dass für den Euroraum als Ganzes betrachtet eine länger anhaltende Geldentwertung in Höhe von mittelfristig mehr als 2 % genauso wenig mit Preisstabilität zu vereinbaren ist wie eine Inflationsrate von mittelfristig weniger als 2 %. Dies gilt erst recht für eine Deflation, also einen länger anhaltenden Rückgang des allgemeinen Preisniveaus. Indem der EZB-Rat sein geldpolitisches Ziel transparent darlegt, liefert er der Öffentlichkeit einen Maßstab, anhand dessen der Erfolg seiner Geldpolitik beurteilt werden kann.
Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass der EZB-Rat nicht ein völlig stabiles Preisniveau und somit eine Inflationsrate in Höhe von 0 % anstrebt. Doch für den Ansatz, im Euroraum auf einen moderaten Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex gegenüber dem Vorjahr abzuzielen, gibt es gute Gründe.
Zum einen bietet ein moderater Preisanstieg insbesondere einen „Sicherheitsabstand“ gegen eine deflationäre Entwicklung. Dies ist deshalb geboten, da Deflation ebenso schädlich sein kann wie Inflation. Einer Deflation ist allerdings mit geldpolitischen Mitteln schwerer zu begegnen, weshalb es ratsam ist, es möglichst gar nicht erst dazu kommen zu lassen. Denn während die Zentralbank ihren Leitzins grundsätzlich unbegrenzt erhöhen kann, um die Wirtschaft und somit auch den Preisanstieg zu dämpfen, kann sie den Leitzins allenfalls leicht in den negativen Bereich senken, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Inflation zu erhöhen (siehe Abschnitt 6.1). Falls nämlich die Zentralbank den Leitzins deutlich unter 0 % senkte, fielen wohl auch die Zinssätze für Sicht-, Termin- und Spareinlagen deutlich unter 0 %. Sparer müssten dann für ihre Kontoguthaben de facto eine Gebühr zahlen. Um dieser Gebühr zu entgehen, könnten sie dazu übergehen, sich ihre Bankeinlagen in großem Stil in bar auszahlen zu lassen und das Geld zuhause aufzubewahren. Die geldpolitisch beabsichtigte Wirkung der Zinssenkung, nämlich Konsum und Investitionen aufseiten der privaten Haushalte und Unternehmen anzukurbeln, liefe dann ins Leere.
Zum anderen bietet eine leicht positive Preissteigerungsrate einen gewissen Spielraum für einen möglichen kleinen statistischen Messfehler bei der Preismessung. Dieser könnte dazu führen, dass die amtliche Inflationsrate etwas höher ausfällt als die Inflation in Wirklichkeit ist (also ohne diesen Messfehler). Ein Inflationsziel von 0 % würde bei Vorliegen eines Messfehlers die Gefahr bergen, dass sich dann die tatsächliche Inflation bereits im negativen Bereich bewegt. Dies gilt es zu vermeiden.
Es gibt gute Gründe dafür, eine moderate Inflation anzustreben.
Außerdem stellt eine Inflationsrate im Euroraum von mittelfristig 2 % auch sicher, dass einzelne Euro-Länder, in denen die Inflationsrate von der des gesamten Euroraums etwas nach unten abweicht, nicht gleich in eine Deflation geraten. Eine Inflation im Euroraum von 0 % anzustreben, würde nämlich zwingend bedeuten, dass einige Mitgliedsländer negative Inflationsraten haben müssten, wenn in anderen Ländern positive Inflationsraten vorherrschen, damit im Euroraum insgesamt 0 % erreicht werden.
Die Ausrichtung der Geldpolitik des Eurosystems auf eine moderate Inflationsrate in Höhe von 2 % gleicht im Übrigen der gegenwärtigen Ausrichtung anderer Zentralbanken wie zum Beispiel der Bank of England oder des US-amerikanischen Federal Reserve Systems. Auch diese streben eine Inflationsrate in Höhe von 2 % an.