Das vorrangige Ziel der Geldpolitik des Eurosystems ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Dafür beeinflusst die Geldpolitik die Preise aber nicht direkt. Die geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems beeinflussen die Entwicklung des Preisniveaus nur auf mittelbare Weise. Über die einzelnen Maßnahmen entscheidet der EZB-Rat auf Grundlage seiner geldpolitischen Strategie.
Vorrangiges Ziel der Geldpolitik ist es, Preisstabilität zu gewährleisten.
In einer Marktwirtschaft müssen die Preise der einzelnen Waren und Dienstleistungen beweglich sein, um hierdurch möglichst unverzerrte Signale über die Angebots- und Nachfragebedingungen auf den Märkten zu geben. Auf diese Art werden die begrenzten Ressourcen der Volkswirtschaft dorthin gelenkt, wo sie gebraucht und am ertragreichsten eingesetzt werden können. Die Preisbildung soll möglichst frei von staatlichen Eingriffen erfolgen. Aus diesem Grund steuert die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik nicht die einzelnen Preise. Stattdessen nimmt sie Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, um hierdurch das Preisniveau indirekt zu beeinflussen. Das Preisniveau beschreibt den Durchschnitt aller Preise und bildet sich – vergleichbar mit den Preisen einzelner Güter – durch Angebot und Nachfrage. Es steigt tendenziell, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stärker zunimmt als das gesamtwirtschaftliche Angebot. Im umgekehrten Fall sinkt es.
Die Geldpolitik beeinflusst das Preisniveau indirekt über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
Eine wichtige Rolle für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage spielen die Zinssätze. Höhere Zinssätze stärken den Anreiz zum Sparen und verteuern die Kreditaufnahme. Wenn dadurch weniger Geld ausgegeben wird, also weniger Waren oder Dienstleistungen gekauft werden, dämpft dies tendenziell die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und somit die Preisentwicklung. Umgekehrt führen niedrigere Zinssätze in der Tendenz zu einer steigenden (auch kreditfinanzierten) Nachfrage und somit zu einem höheren Preisniveau.
Die Zinssätze auf dem Kredit- und Kapitalmarkt haben als Preis für die Kreditaufnahme bzw. als Vergütung für das Sparen somit eine wichtige Signal- und Lenkungsfunktion. Sie werden von der Zentralbank allerdings nicht direkt bestimmt. Das klassische geldpolitische Instrumentarium setzt vielmehr bei den Zinssätzen an, zu denen sich die Geschäftsbanken Zentralbankgeld bei der Zentralbank leihen. Änderungen dieser Zinssätze wirken sich dann mittelbar auf die Zinssätze auf dem Kredit- und Kapitalmarkt und damit auch auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aus.
Ein wichtiger Ansatzpunkt der Geldpolitik ist der Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld – das sind das Buchgeld der Geschäftsbanken auf dem Konto einer Zentralbank sowie das umlaufende Bargeld. Dieser sogenannte Refinanzierungsbedarf ergibt sich aus drei Gründen: aus dem Bargeldbedarf, aus der Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs über Zentralbankkonten sowie aus der Pflicht zum Halten einer Mindestreserve auf dem Zentralbankkonto.
Die Bankkunden fragen Zentralbankgeld in Form von Bargeld nach, um mit dem Bargeld ihre Einkäufe zu bezahlen oder um es zur Wertaufbewahrung zu nutzen. Das Bargeld bekommen sie in der Regel von Geschäftsbanken, beispielsweise indem sie es am Geldautomaten abheben. Das dafür benötigte Bargeld müssen sich die Banken bei der Zentralbank beschaffen. Hierfür lassen sie sich Geld vom Guthaben auf ihrem Zentralbankkonto in bar auszahlen.
Außerdem benötigen Geschäftsbanken Zentralbankgeld, um den bargeldlosen Zahlungsverkehrs abzuwickeln. Die Geschäftsbanken führen diese unbaren Zahlungen in der Regel über Konten bei der Zentralbank ab. Banken können Überweisungen untereinander aber nur dann ausführen, wenn sie auf ihrem Konto bei der Zentralbank über ein ausreichend hohes Guthaben verfügen.
Zudem können Zentralbanken die Geschäftsbanken verpflichten, eine Mindestreserve zu halten. Dies bedeutet, dass eine Geschäftsbank auf ihrem Konto bei der Zentralbank ein Mindestguthaben halten muss. Auch hieraus erwächst den Banken ein Bedarf an Zentralbankgeld (siehe Abschnitt 6.3.1).
Zentralbankgeld kann nur die Zentralbank schaffen. Diese Monopolstellung ist ein wichtiger Hebel der Geldpolitik. Zentralbankgeld erhalten die Banken üblicherweise als Kredite von der Zentralbank. Geschäftsbanken. Den Kreditbetrag schreibt die kreditgewährende Zentralbank der Geschäftsbank auf deren Zentralbankkonto als Einlage gut. Die Geschäftsbanken müssen für den Kredit Zinsen zahlen. Die Höhe dieses Zinssatzes beeinflusst über den sogenannten Transmissionsmechanismus indirekt alle anderen Zinssätze im Finanzsystem. Er wird deshalb „ Leitzins“ genannt.
Der Zinssatz für Zentralbankgeld wird als „Leitzins“ bezeichnet, da er Einfluss auf alle anderen Zinssätze hat.
Obwohl jede Geschäftsbank Zentralbankgeld benötigt, nehmen im Euroraum längst nicht alle von ihnen an den Verfahren teil, mit denen das Eurosystem mittels Kreditvergabe Zentralbankgeld gewährt (sogenannte Refinanzierungsgeschäfte). Die meisten überlassen dies den größeren Instituten. Diese verleihen dann einen Teil des erhaltenen Zentralbankgeldes gegen Zinsen an andere Banken.
Der Markt, auf dem Angebot und Nachfrage nach diesen Interbankenkrediten an Zentralbankgeld zusammentreffen, heißt Geldmarkt (Kurzform für „Markt für Zentralbankgeld“). Der Zinssatz, der beim Handel von Zentralbankgeld zwischen den Geschäftsbanken bezahlt wird, hat auch eine Signalfunktion. Er spiegelt wider, ob Zentralbankgeld im Bankensektor insgesamt reichlich (Interbankenzinssatz unter dem Hauptrefinanzierungssatz) oder eher begrenzt verfügbar ist (Interbankenzinssatz über dem Hauptrefinanzierungssatz) (siehe hierzu „Geldmarktsteuerung“ unter 6.3.3).
Am häufigsten wird am Geldmarkt „Tagesgeld“ gehandelt. Bei diesen Interbankenkrediten verleihen Geschäftsbanken) mit einem Überschuss an Zentralbankgeld einen bestimmten Betrag an andere Geschäftsbanken, die einen Bedarf an Zentralbankgeld haben. Die Laufzeit solcher Geschäfte beträgt lediglich einen Tag. Es handelt sich bei Tagesgeld also um Übernachtkredite: Bereits am nächsten Tag werden diese Kredite samt Zinsen zurückgezahlt. Auf dem Geldmarkt werden aber neben Tagesgeld auch Interbankenkredite mit Laufzeiten von einer Woche oder von einem oder mehreren Monaten gehandelt.
Bis zum Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007/2008 haben sich die Geschäftsbanken über den Geldmarkt meistens unbesicherte Kredite gewährt, sie haben also keine gesonderten Kreditsicherheiten von ihren Kreditnehmern verlangt. Als plötzlich die Befürchtung aufkam, dass Banken über Nacht insolvent werden könnten, versiegte dieser Kredithandel zeitweilig. Mittlerweile hat sich die Kreditvergabe zwischen den Geschäftsbanken wieder erholt, besicherte Kredite bleiben jedoch die Regel.
Ausgangspunkt der dargestellten geldpolitischen Wirkungskette – hier des sogenannten Zinskanals – ist der von der Zentralbank festgelegte Zinssatz (also der Preis), zu dem sich Banken von der Zentralbank Geld leihen können. Erhöht die Zentralbank den Leitzinssatz, dann steigen normalerweise auch die Zinssätze am Interbankenmarkt ( Geldmarkt), auf dem Zentralbankgeld in Form von Kontoguthaben bei der Zentralbank zwischen den Geschäftsbanken gehandelt wird. Den gestiegenen Preis für Zentralbankgeld geben die Banken üblicherweise an ihre Kunden weiter, indem sie ihre Zinssätze für Kredite an Unternehmen und Privatpersonen anheben. Wenn diese Bankkredite teurer werden, geht die Nachfrage nach solchen Krediten in der Regel zurück. In der Folge wird die kreditfinanzierte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in der Volkswirtschaft schwächer. Die Unternehmen haben in einem solchen Umfeld weniger Spielraum, Preiserhöhungen durchzusetzen. In der Folge wird der gesamtwirtschaftliche Preisauftrieb gedämpft, die Inflationsrate geht zurück.
Der geldpolitische Transmissionsprozess beginnt mit einer Änderung des Leitzinses.
Umgekehrt verhält es sich, wenn die Zentralbank ihren Leitzinssatz senkt: Für Unternehmen und Haushalte wird es günstiger, Bankkredite aufzunehmen. Dies wiederum regt die kreditfinanzierte Investitionstätigkeit der Unternehmen an und erhöht gleichzeitig die Nachfrage der Verbraucher nach langlebigen Konsumgütern. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt. Unternehmen können ihre Preise einfacher und gleichzeitig stärker erhöhen. Die Die Inflationsrate nimmt tendenziell zu.
Auf dem Kapitalmarkt verschaffen sich große Unternehmen und staatliche Stellen langfristig finanzielle Mittel, indem sie Anleihen (auch Schuldverschreibungen genannt) verkaufen und somit einen Kredit aufnehmen. Der Herausgeber der Anleihe bezahlt dem Käufer (Inhaber) regelmäßig Zinsen. Am Ende der Laufzeit wird die Anleihe durch den Emittenten zurückgekauft (getilgt). Anleihen werden täglich an Börsen gehandelt.
Die langfristigen Kapitalmarktzinsen, also die Zinssätze auf dem Anleihemarkt, folgen nicht zwingend einer Leitzinsänderung. Senkt beispielsweise die Zentralbank ihren Leitzins, dann sinken die langfristigen Kapitalmarktzinsen nicht unbedingt im gleichen Ausmaß. Sie könnten sogar steigen, wenn die Anleger fürchten, dass es infolge der Leitzinssenkung mittelfristig zu höherer Inflation kommt. In einem solchen Fall verlangen die Anleger für den erwarteten, also durch die höhere Inflation bedingten Kaufkraftverlust ihrer Geldanlage einen Ausgleich – und zwar in Form höherer Zinssätze. Auch eine solche unerwünschte Reaktion muss die Zentralbank bei Auswahl und Dosierung ihrer geldpolitischen Instrumente berücksichtigen. Damit die Zentralbank mit ihren geldpolitischen Entscheidungen möglichst den gewünschten Effekt auf das Zinsniveau hat, kommt es entscheidend auf ihre Glaubwürdigkeit und Stabilitätsorientierung an.
Die Kapitalmarktzinsen folgen nicht zwingend der Leitzinsänderung.
Ein weiterer wichtiger Wirkungskanal der Geldpolitik ist der Wechselkurskanal. Der Wechselkurs ist der Preis einer Währung ausgedrückt in Einheiten einer anderen Währung. Auch er reagiert auf geldpolitische Änderungen. Steigen beispielsweise die inländischen Zinssätze stärker als die ausländischen, so wird eine Geldanlage am heimischen Kapitalmarkt tendenziell attraktiver – sowohl für inländische als auch für ausländische Anleger. Dadurch entsteht eine höhere Nachfrage nach inländischer Währung, wodurch sie sich relativ zur ausländischen Währung verteuert. Voraussetzung hierfür ist, dass der Wechselkurs staatlicherseits nicht fest vorgegeben ist. Umgekehrt verläuft der Prozess, wenn die Zinssätze im Inland im Vergleich zum Ausland sinken.
Auch Wechselkursänderungen beeinflussen die Nachfrage und somit die Preisentwicklung.
Solche Wechselkursänderungen haben Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit auch auf die Entwicklung des Preisniveaus. Gewinnt beispielsweise der Euro gegenüber einer anderen Währung an Wert („Aufwertung des Euro“), werden Produkte aus dem anderen Währungsraum für Käufer im Euroraum günstiger (Importpreise sinken) und daher stärker nachgefragt. In der Folge geht die Nachfrage im Euroraum nach eigenen Produkten tendenziell zurück, was den Preisdruck und somit die Inflationsrate dämpft. Gleichzeitig müssen die ausländischen Nachfrager – in ausländischer Währung gerechnet – nach einer Aufwertung des Euro mehr für die Güter aus dem Euroraum bezahlen (Exportpreise steigen). So nimmt auch die ausländische Nachfrage nach solchen Gütern in der Tendenz ab. Dies dämpft ebenfalls den Preisanstieg im Euroraum.
Umgekehrt verhält es sich bei einer Abwertung des Euro: Aus Sicht des Euroraums verteuern sich die Einfuhren ausländischer Güter (Importpreise steigen), was die Nachfrage nach diesen Gütern dämpft. Die Nachfrage nach heimischen Gütern nimmt dadurch im Gegenzug tendenziell zu. In der Folge steigen die Preise – und damit die Inflationsrate. Gleichzeitig verbessern sich durch die Abwertung die Absatzmöglichkeiten für Lieferungen ins Ausland (Exportpreise sinken). Die Folge: Auch die ausländische Nachfrage nach Gütern im Euroraum steigt, was ebenfalls zu höheren Preisen und einer steigenden Inflationsrate führt.
Der Übertragungsprozess geldpolitischer Impulse ist komplex. Es gibt mehrere Wirkungsketten, die sich auf unterschiedliche Art und Weise gegenseitig beeinflussen können. Manche dieser Prozesse laufen schnell ab: Die Finanzmärkte zum Beispiel reagieren meist unmittelbar auf Änderungen des Leitzinssatzes. Bei Banken dauert es hingegen oft einige Zeit, bis sie eine Leitzinssenkung an ihre Kunden in Form niedrigerer Kreditzinssätze weitergeben. Wie schnell sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Preise verändern, hängt zudem nicht allein von der Veränderung des Leitzinssatzes ab. Relevant sind auch viele andere Faktoren, wie etwa die Entwicklung der Weltwirtschaft oder die Intensität des Wettbewerbs. Hinzu kommt, dass das Verhalten von Unternehmen, Konsumenten, Banken und Staat einem ständigen Wandel unterliegt.
Eine Zentralbank muss die langen und variablen Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik stets im Blick behalten und möglichst vorausschauend handeln. Das stellt insbesondere für das Eurosystem eine hohe Anforderung an die geldpolitische Analysefähigkeit dar, da es in den einzelnen Euro-Ländern unterschiedliche Finanzierungsgewohnheiten, Konjunkturzyklen und Wirtschaftsstrukturen gibt.
Aus geldpolitischer Perspektive sind die Inflationserwartungen in der Öffentlichkeit von besonderer Bedeutung. Sind die Preise gestiegen und erwarten die Menschen, dass die Inflation dauerhaft zunimmt, werden die Gewerkschaften typischerweise versuchen, dem erwarteten Kaufkraftverlust mithilfe höherer Löhne entgegenwirken. In der Folge werden die Unternehmen versuchen, die erhöhten Lohnkosten auf die Preise ihrer Güter und Dienstleistungen überzuwälzen. So kann im ungünstigsten Fall eine Preis-Lohn-Spirale entstehen, bei der sich die Preis- und Lohnanstiege gegenseitig aufschaukeln. Wenn infolgedessen die Inflation dauerhaft deutlich steigt, gefährdet dies das Ziel der Preisstabilität.
Das erwartete Ausmaß der Inflation hat also erheblichen Einfluss darauf, wie hoch die Inflation mittelfristig tatsächlich sein wird. Die Geldpolitik muss deshalb durch eine überzeugende Stabilitätspolitik und eine transparente Kommunikation Vertrauen in die Wertbeständigkeit des Geldes schaffen. Hierbei gilt, die Inflationserwartungen im Einklang mit dem Ziel der Preisstabilität zu halten.
Auch die Glaubwürdigkeit einer Zentralbank kann daran gemessen werden, wie hoch die Inflationserwartungen in der Öffentlichkeit sind. Ist die Glaubwürdigkeit hoch, sind die Inflationserwartungen auf Höhe des Preisstabilitätsziels verankert.
Um sein vorrangiges Ziel zu erreichen, Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten, folgt der EZB-Rat einer „geldpolitischen Strategie“. Sie legt das Ziel fest und beschreibt, welche geldpolitischen Instrumente und Indikatoren hierfür geeignet sind. Die Strategie bildet damit ein systematisches Rahmenwerk, innerhalb dessen der EZB-Rat seine geldpolitischen Entscheidungen trifft. Gleichzeitig dient die Strategie dazu, geldpolitische Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit klar und nachvollziehbar zu machen.
Im Juli 2021 gab der EZB-Rat seine neue geldpolitische Strategie bekannt. Ein wesentliches Element der Strategie ist das symmetrische Inflationsziel von mittelfristig 2 %. Symmetrie bedeutet, dass negative Abweichungen von diesem Zielwert ebenso unerwünscht sind wie positive (siehe Abschnitt 5.4). Der Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) bleibt weiterhin die Messgröße für Preisstabilität im Euroraum (siehe Abschnitt 5.2).
Das primäre geldpolitische Instrument des Eurosystems sind die Leitzinsen. Falls notwendig, wird der EZB-Rat auf andere Instrumente wie den Ankauf von Wertpapieren, längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und Forward Guidance zurückgreifen (siehe Abschnitt 6.3).
Im Juli 2021 gab der EZB-Rat seine neue geldpolitische Strategie bekannt.
Innerhalb seines Mandats wird das Eurosystem künftig die Implikationen des Klimawandels berücksichtigen. Auch wenn die Verantwortung für den Klimaschutz primär in den Händen der Politik liegt, wirkt sich der Klimawandel auch auf die gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung aus. Der EZB-Rat hat sich daher vorgenommen, neben der umfassenden Berücksichtigung von Klimafaktoren in seiner geldpolitischen Beurteilung auch seinen geldpolitischen Handlungsrahmen in Bereichen wie Risikobewertung, Ankäufe von Wertpapieren und Sicherheitenrahmen anzupassen.
Grundlage der geldpolitischen Beschlüsse ist eine umfassende Bewertung sämtlicher Faktoren, die für die Preisentwicklung von Bedeutung sind. Hierfür stützt sich der EZB-Rat auf zwei ineinandergreifende Analysestränge: die „wirtschaftliche Analyse“ und die „monetäre und finanzielle Analyse“. Im Rahmen dieses integrierten Analyseansatzes prüft der EZB-Rat auch die Verhältnismäßigkeit und mögliche Nebenwirkungen seiner geldpolitischen Entscheidungen. Dementsprechend breit fällt die Analyse aus.
Mit der wirtschaftlichen Analyse macht sich das Eurosystem anhand einer Fülle gesamtwirtschaftlicher Indikatoren ein umfassendes Bild von den wirtschaftlichen Entwicklungen, die für die Inflationsaussichten bedeutend sind.
Der EZB-Rat stützt seine Geldpolitik auf zwei ineinandergreifende Analyseansätze.
Bei der monetären und finanziellen Analyse liegt der Fokus auf der geldpolitischen Transmission von der Zentralbank über den Finanzsektor bis in die Realwirtschaft. Zudem werden Risiken für die Preisstabilität analysiert, die sich aus monetären und finanziellen Faktoren ergeben können.
Der integrierte Analyserahmen berücksichtigt die vielfältigen Verflechtungen zwischen wirtschaftlichen, monetären und finanziellen Entwicklungen. In der Gesamtschau ergibt sich ein umfassendes und robustes Bild, mit dessen Hilfe Inflationsrisiken frühzeitig und verlässlich erkannt werden können.
Ziel der wirtschaftlichen Analyse ist es, die zukünftige Preisentwicklung umfassend einschätzen und mögliche Risiken für die Geldwertstabilität vorab erkennen zu können. Hierfür wird die wirtschaftliche Entwicklung in den Blick genommen und laufend bewertet. Zu den Faktoren, von denen Gefahren für die Preisstabilität ausgehen können, zählen beispielsweise die konjunkturelle Entwicklung (Zusammenspiel von Güterangebot und Güternachfrage), die binnenwirtschaftliche Kostensituation (Löhne und Lohnverhandlungen) und die außenwirtschaftliche Lage (Wechselkurse und Rohstoffpreise). Dabei wird zwischen den sogenannten Erst- und Zweitrundeneffekten von Preisänderungen unterschieden. Die wirtschaftliche Analyse berücksichtigt zudem strukturelle Trends, denen die Volkswirtschaft unterliegt (z.B. Globalisierung, demografische Alterung, Digitalisierung oder Klimawandel). Ferner geben Finanzmarktpreise und entsprechende Umfragen Anhaltspunkte für die Inflationserwartungen der Wirtschaftsteilnehmer.
Die wirtschaftliche Analyse soll Risiken für die Preisstabilität frühzeitig erkennen.
Darüber hinaus liefern die „gesamtwirtschaftlichen Projektionen“ des Eurosystems zusammenhängendes Bild der aktuellen und voraussichtlichen Entwicklung der Wirtschaft. Diese Projektionen werden zweimal jährlich gemeinsam von Fachleuten der EZB und der nationalen Zentralbanken erstellt und im Juni und Dezember veröffentlicht. Im März und September eines jeden Jahres werden die Projektionen von Experten der EZB aktualisiert.
Im Zentrum der Projektionen stehen Vorausschätzungen zur gesamtwirtschaftlichen Leistung (dem Bruttoinlandsprodukt) und der Verbraucherpreisentwicklung (gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex). Der Begriff „Projektion“ bringt zum Ausdruck, dass es sich hierbei um das Ergebnis eines Szenarios handelt, das auf einer Reihe von Annahmen basiert, zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklung des Ölpreises oder der Wechselkurse.
In der geldpolitischen Analyse wird zwischen den Erst- und Zweitrundeneffekten unterschieden. Der Erstrundeneffekt beschreibt, wie sich Preisänderungen einzelner Produkte oder Dienstleistungen in der allgemeinen Preisentwicklung niederschlagen. Nehmen wir als Beispiel einen Anstieg des Rohölpreises: Dieser Anstieg führt zu unmittelbaren Preissteigerungen bei vielen Ölprodukten, wie zum Beispiel Benzin (direkter Erstrundeneffekt). Dieser Rohölpreisanstieg hat aber auch Preissteigerungen anderer Waren und Dienstleistungen zur Folge, in denen Ölprodukte ein wichtiger Kostenfaktor sind, wie etwa Flugreisen (indirekter Erstrundeneffekt).
Allerdings ist keinesfalls sicher, in welchem Ausmaß und für wie lange ein Anstieg des Rohölpreises auf die nachgelagerten Preise durchschlägt. Denn dies hängt zum einen von Faktoren wie der konjunkturellen Lage der Volkswirtschaft sowie der Marktmacht der betroffenen Unternehmen ab, also davon, wie leicht Unternehmen höhere Kosten mittels höherer Preise an die Verbraucher weitergeben können. Zum anderen spielen auch die Reaktionen der Verbraucher auf die Preiserhöhungen eine Rolle. Es kommt darauf an, ob die Verbraucher den Konsum der verteuerten Produkte und Dienstleistungen einschränken oder die verteuerten Güter durch andere ersetzen, die billiger sind. Oder aber sie ändern ihre Konsumgewohnheiten nicht und bauen zur Finanzierung der erhöhten Ausgaben ihre Ersparnisse ab oder Schulden auf.
Die Geldpolitik ist typischerweise nicht in der Lage, Einfluss auf die ursprüngliche Preisänderung der ersten Runde und auf den daraus resultierenden Effekt auf die Inflationsrate zu nehmen. Viele Zentralbanken verfolgen deshalb den Ansatz, durch diese Erstrundeneffekte „hindurchzuschauen“. Das heißt, sie konzentrieren sich stattdessen auf den allgemeinen Preistrend. In diesem Zusammenhang ist auch relevant, dass Erstrundeneffekte nur einen vorübergehenden Einfluss auf die Teuerungsrate haben. Dies rührt daher, dass eine einmalige Preisänderung nach einem Jahr nicht mehr in der Inflationsrate zu messen ist, da diese die Preisveränderung im 12-Monats-Vergleich misst.
Die Geldpolitik muss aber im Auge behalten, dass die Preisänderungen der ersten Runde keine späteren Zweitrundeneffekte nach sich ziehen, die zu einem anhaltenden Anstieg der Inflationsrate führen können. Unter Zweitrundeneffekten sind Reaktionen von Marktteilnehmern auf die Preissteigerung in der ersten Runde zu verstehen. Im Zentrum steht hier die Entwicklung der Löhne. Sind beispielsweise nach einem Anstieg des Rohölpreises die Gewerkschaften bestrebt, den hierdurch ausgelösten Kaufkraftverlust durch eine kräftige Lohnerhöhung auszugleichen entsteht die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale. In einem solchen Fall würden sich steigende Preise und steigende Löhne wechselseitig aufschaukeln. Als Folge könnte es zu einer sich weiter beschleunigenden Inflation kommen.
Zu Beginn der Währungsunion stand bei der monetären Analyse im Vordergrund, dass es in der langen Frist einen vielfach belegten, recht engen Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation gab. Danach führte – stark vereinfacht ausgedrückt – eine übermäßige Ausweitung der Geldmenge auf Dauer zu einem übermäßigen allgemeinen Preisanstieg. Im Umfeld niedriger und relativ stabiler Inflationsraten der vergangenen Jahre hat sich der Geldmengen-Preis-Zusammenhang allerdings abgeschwächt. Die unmittelbare Aussagekraft des Geldmengenwachstums als Indikator für die künftige Preisentwicklung hat deshalb auch im Euroraum abgenommen.
Dennoch enthalten monetäre und finanzielle Größen weiterhin wichtige Informationen über mögliche Inflationsrisiken. Dies gilt nicht nur für die Entwicklung der Geldmenge und ihrer Komponenten, sondern auch für die Kreditvergabe der Banken und die weiteren Finanzierungsbedingungen und Finanzierungsstrukturen der Wirtschaft. Die Zusammenhänge zwischen diesen Einflussfaktoren und dem Preisniveau sind jedoch komplex und bedürfen deshalb einer gründlichen Analyse. Das Eurosystem nutzt daher ein breites Spektrum an Modellen, um aus der Entwicklung dieser Größen Aussagen über künftige Preisrisiken abzuleiten.
Die monetäre und finanzielle Analyse nimmt insbesondere den Transmissionsmechanismus in den Blick.
Die monetäre Analyse wurde seit Beginn der Währungsunion stetig weiterentwickelt und um finanzielle ergänzt, daher spricht das Eurosystem seit Sommer 2021 von der monetären und finanziellen Analyse. Ihr Schwerpunkt liegt heute vor allem darin, die Transmission geldpolitischer Maßnahmen durch den Bankensektor in die Realwirtschaft zu analysieren (siehe Kapitel 6.1). So liefert zum Beispiel die Analyse der Kreditentwicklung Informationen darüber, ob eine geldpolitische Zinsänderung überhaupt ihren Weg über die Banken zu den privaten Haushalten und Unternehmen findet. Denn es kann zum Beispiel auch Situationen geben, in denen Leitzinssenkungen nicht von den Banken weitergegeben werden. In diesem Fall sind trotz niedrigerer Leitzinsen gar keine Auswirkungen auf das Ausgabeverhalten der privaten Haushalte und Unternehmen zu erwarten. Informationen über die geldpolitische Transmission helfen auch dabei, die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen abseits der klassischen Leitzinsänderungen – wie zum Beispiel der Ankaufprogramme – zu beurteilen und ihre Ausgestaltung an ein sich änderndes Umfeld anzupassen.
Auch Aspekte der Finanzstabilität werden in der monetären und finanziellen Analyse berücksichtigt.
Die monetäre und finanzielle Analyse blickt zudem auch auf Aspekte der Finanzstabilität. Die Stabilität der Finanzmärkte und Finanzintermediäre (zum Beispiel der Banken, Versicherer und Fonds) ist eine wichtige Voraussetzung für die Geldwertstabilität. Aus Sicht der Geldpolitik stellt sich insbesondere die Frage, ob sich in der längeren Frist finanzielle Fehlentwicklungen aufbauen. Hierzu zählen beispielsweise eine zu hohe Verschuldung von Unternehmen oder privaten Haushalten sowie spekulative Preisblasen an den Anleihe-, Aktien- oder Immobilienmärkten. Aus solchen Fehlentwicklungen können sich gravierende Risiken für die Finanzstabilität ergeben. Ein mögliches Szenario wäre beispielsweise ein Anstieg der Unternehmensinsolvenzen, daraus resultierende Ertragsprobleme bei den kreditvergebenden Banken und in der Folge eine Unterversorgung der Wirtschaft mit Krediten. Die Geldpolitik muss solche Risiken in ihre Überlegungen einbeziehen, wenn sie Auswirkungen auf die Preisstabilität haben könnten.
Darüber hinaus untersucht die monetäre und finanzielle Analyse, ob die Geldpolitik unerwünschte Nebenwirkungen für die Finanzstabilität hat. Denn Geldpolitik kann ihrerseits die Finanzstabilität belasten, zum Beispiel, wenn sie zu einem anhaltend zu niedrigen Zinsniveau beiträgt. Derartige Nebenwirkungen können gegebenenfalls durch Anpassungen des geldpolitischen Instrumentariums verringert werden.
Die geldpolitischen Entscheidungen werden im EZB-Rat getroffen. Die operative Durchführung der Geldpolitik liegt bei den nationalen Zentralbanken, in Deutschland also bei der Bundesbank. Bei ihnen unterhalten die Geschäftsbanken ihre Zentralbankkonten und darauf die Mindestreserve. Die geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte ( Offenmarktgeschäfte) und das Management der Sicherheiten werden ebenso von den nationalen Zentralbanken durchgeführt. Auf diese Weise können die operativen Erfahrungen der nationalen Zentralbanken sowie die bei ihnen bestehende technische und organisatorische Infrastruktur optimal genutzt werden. In Ausnahmefällen darf die EZB Geldmarktgeschäfte mit ausgewählten Geschäftspartnern direkt abwickeln.
Die Nutzung der geldpolitischen Instrumente durch das Eurosystem und die Art der Geldmarktsteuerung haben sich seit Ausbruch der Banken- und Finanzkrise 2007/2008 deutlich verändert. Während der Zentralbankgeldbedarf der Geschäftsbanken vor der Krise vor allem mittels kurzlaufender Hauptrefinanzierungsgeschäfte gedeckt wurde, stehen mittlerweile vor allem langfristige Refinanzierungsgeschäfte und dauerhafte Wertpapierkäufe durch das Eurosystem im Mittelpunkt der geldpolitischen Operationen.
Die Mindestreservepflicht ist ein Bestandteil des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems. Um sie zu erfüllen, müssen Geschäftsbanken eine Mindesteinlage auf ihrem Zentralbankkonto halten. Dadurch haben die Banken einen stabilen Bedarf an Zentralbankgeld. Über die Höhe der zu haltenden Mindestreserven kann der EZB-Rat den Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld beeinflussen.
Die Banken sind verpflichtet, Mindestguthaben bei der Zentralbank zu halten.
Die Höhe der Mindestreserve berechnet sich aus Verbindlichkeiten der Bank.
Die Höhe der Mindestreserve ergibt sich aus den reservepflichtigen Verbindlichkeiten einer Geschäftsbank, gemessen am Ende ausgewählter Monate (Monatsultimo). Reservepflichtig sind beispielsweise täglich fällige Kundeneinlagen, Termin- und Spareinlagen, aber auch von den Banken begebene Schuldverschreibungen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren sowie Geldmarktpapiere. Diese reservepflichtigen Verbindlichkeiten werden mit dem Mindestreservesatz multipliziert. Die Geschäftsbank muss den sich so ergebenden Betrag als Einlage bei der Zentralbank halten. Die Mindestreserveperiode beginnt jeweils am Mittwoch nach der geldpolitischen EZB-Ratssitzung und dauert – abhängig von der zeitlichen Lage der Sitzung – typischerweise 42 oder 49 Tage. Der Mindestreservesatz beträgt derzeit 1 %.
Die Banken müssen die vorgeschriebene Mindestreserve nicht an jedem Tag in voller Höhe als Einlage auf ihrem Zentralbankkonto halten, sondern nur im Durchschnitt über die gesamte Mindestreserveperiode. Das verschafft den Banken Flexibilität, da das Reserveguthaben wie ein Puffer wirken kann: Fließt einer Bank beispielsweise durch den Zahlungsverkehr ihrer Kundschaft an einem Tag Zentralbankgeld ab, mindert das die bestehende Zentralbankgeld-Einlage und somit auch die Anrechnung für die Mindestreservehaltung. Der Bank steht es dann frei, ihre Einlage durch Kreditaufnahme am Geldmarkt noch am gleichen Tag wieder zu erhöhen oder aber abzuwarten, ob ihr an den folgenden Tagen Zentralbankgeld zufließt.
Die Mindestreserve muss nicht ständig in voller Höhe, sondern nur im Durchschnitt gehalten werden.
Durch die Möglichkeit, die Mindestreserve nur im Durchschnitt der Mindestreserveperiode erfüllen zu müssen, ist es für die Banken nicht nötig, ständig am Geldmarkt aktiv zu sein. Das wiederum trägt zur Stabilisierung der Geldmarktzinssätze bei, da diese somit nicht nachfragebedingt permanent schwanken. Jede Geschäftsbank muss jedoch sicherstellen, dass sie am letzten Tag der Mindestreserveperiode das Mindestreserve-Soll im Durchschnitt erfüllt hat.
Die als Mindestreserve gehaltenen Guthaben der Geschäftsbanken bei den nationalen Zentralbanken werden verzinst. Seit Mitte Dezember 2022 ist hierfür der Zinssatz der Einlagefazilität relevant. Zuvor wurden die Mindestreserveguthaben mit dem (höheren) Hauptrefinanzierungssatz verzinst. Der EZB-Rat beschloss diese Änderung, da unter den vorherrschenden Marktbedingungen der Einlagesatz besser diejenigen Zinssätze widerspiegelt, zu denen Banken am Geldmarkt Geld aufnehmen oder anlegen können.
Der Betrag einer Bank auf ihrem Zentralbankkonto, der ihr Mindestreserve-Soll übersteigt, wird als „Überschussreserven“ bezeichnet. Diese Überschussreserven werden nicht verzinst.
Um dem Bankensektor Zentralbankgeld zur Verfügung zu stellen, nutzt das Eurosystem sogenannte Offenmarktgeschäfte. Dabei vergibt es Kredite an die Geschäftsbanken gegen Hinterlegung von Sicherheiten. In geldpolitisch normalen Zeiten stehen diese Geschäfte im Zentrum der geldpolitischen Operationen des Eurosystems.
In normalen Zeiten stehen Offenmarktgeschäfte im Zentrum der geldpolitischen Operationen.
Gewährt die Zentralbank einer Geschäftsbank einen Kredit oder kauft ihr Wertpapiere ab, so schreibt sie der Geschäftsbank den entsprechenden Kredit- oder Kaufbetrag als Sichteinlage auf deren Zentralbankkonto gut: Es wird Zentralbankgeld geschaffen, über das die Geschäftsbank verfügen kann. Zahlt die Geschäftsbank den Kredit zurück oder kauft sie der Zentralbank Wertpapiere ab, wird die Sichteinlage der Geschäftsbank bei der Zentralbank um den entsprechenden Betrag vermindert. Zuvor geschaffenes Zentralbankgeld wird so wieder vernichtet.
Die Zentralbank kann Wertpapiere endgültig („Outright-Geschäfte“) oder nur für eine bestimmte Zeit („befristete Transaktion“) ankaufen. Bei einer befristeten Wertpapiertransaktion kauft die Zentralbank den Geschäftsbanken Papiere ab, doch müssen sich diese verpflichten, die Papiere nach einer bestimmten Zeit (z. B. nach einer Woche) wieder zurückzukaufen. Solch ein Offenmarktgeschäft mit Rückkaufvereinbarung nennt man Pensionsgeschäft, auf Englisch: „repurchase agreement“ oder kurz „Repo“. Diese kurzlaufenden Geschäfte erleichtern es dem Eurosystem, das Volumen des bereitgestellten Zentralbankgeldes sowie dessen Zinssatz kurzfristig zu verändern. Im Gegensatz zu endgültigen An- und Verkäufen haben Repos keinen direkten Einfluss auf die Wertpapierkurse am Markt.
Der Zinssatz des Hauptrefinanzierungsgeschäfts ist der wichtigste Leitzins.
Das Eurosystem stellt Zentralbankgeld im Normalfall größtenteils über befristete Geschäfte mit kurzer Laufzeit bereit. Diese Hauptrefinanzierungsgeschäfte haben eine Laufzeit von sieben Tagen. Bei der Zuteilung eines neuen Geschäfts kann das Eurosystem einen veränderten Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld berücksichtigen, beispielsweise weil die Wirtschaft wegen des Weihnachtsgeschäfts mehr Bargeld benötigt. Der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft (Hauptrefinanzierungssatz) ist der wichtigste Leitzins des Eurosystems. Hebt der EZB-Rat diesen Leitzinssatz an, wird dies oft als „Straffung“ der Geldpolitik bezeichnet. Bei einer Leitzinssenkung ist von einer „Lockerung“ die Rede.
Mit längerfristigen Refinanzierungsgeschäften stellt das Eurosystem den Banken für einen Monat oder länger Zentralbankgeld zur Verfügung. Im Zuge der Banken- und Finanzkrise 2007/2008 hat das Eurosystem den Anteil des längerfristig bereitgestellten Zentralbankgelds erstmalig deutlich ausgeweitet, da sich die Banken untereinander keine unbesicherten Kredite mehr gewährten. Durch die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte wurde der Bankensektor mit ausreichend Zentralbankgeld versorgt. Die Laufzeiten dieser Geschäfte wurden auf bis zu vier Jahre ausgeweitet.
Um die Kreditvergabe der Banken an den privaten Sektor zu erhöhen und die Funktionsfähigkeit des Transmissionsmechanismus zu verbessern, führte der EZB-Rat von September 2014 bis November 2021 eine Serie von „Gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften“ (Targeted Longer-Term Refinancing Operations, TLTRO) durch. Die Grundidee der TLTROs war, die Zinskonditionen dieser Geschäfte für Geschäftsbanken grundsätzlich umso günstiger zu gestalten, je mehr Kredite diese an den nichtfinanziellen Sektor vergaben.
Infolge der Corona-Krise wurden im März 2020 zusätzliche längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und im April 2020 die „Pandemic emergency longer-term refinancing operations“ (PELTROs) beschlossen. Diese dienten dazu, das reibungslose Funktionieren der Geldmärkte während der Pandemie sicherzustellen.
Feinsteuerungsoperationen kann das Eurosystem einsetzen, auf unerwartete Schwankungen des Zentralbankgeldbedarfs zu reagieren. Mit solchen Operationen kann Zentralbankgeld auf verschiedene Weise kurzfristig zugeführt oder abgeschöpft werden. Ziel der Maßnahmen ist es, unerwünschten Schwankungen der Interbankenzinssätze auf dem Geldmarkt entgegenzuwirken.
Die strukturellen Operationen dienen dazu, den Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld langfristig zu beeinflussen. Sind die Banken aufgrund besonderer Entwicklungen kaum noch auf Refinanzierungsgeschäfte angewiesen, greifen die konventionellen geldpolitischen Instrumente nicht mehr in gewohnter Form. Dann könnte das Eurosystem beispielsweise durch den Verkauf eigener Schuldverschreibungen an die Geschäftsbanken deren Bestand an Zentralbankgeld dauerhaft verringert, da sie den Kaufpreis in Zentralbankgeld entrichten müssen. Die Geschäftsbanken sind dann zur Deckung ihres Bedarfs an Zentralbankgeld wieder stärker auf die Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems angewiesen und die geldpolitischen Instrumente können wieder besser greifen.
Das Eurosystem wickelt die Offenmarktgeschäfte entweder als „Tender“ (Versteigerungsverfahren) oder als bilaterale Geschäfte (direkt mit Geschäftspartnern) ab. Im Regelfall nutzt das Eurosystem das Versteigerungsverfahren. Für solche Auktionen gibt es mehrere Varianten.
Mittels Tenderverfahren wird Zentralbankgeld „versteigert“.
Beim „ Zinstender mit Mindestbietungssatz“ teilt das Eurosystem vorab mit, wie viel Zentralbankgeld es insgesamt bereitstellen wird und welchen Zinssatz eine Geschäftsbank mindestens bieten muss, um bei der Versteigerung berücksichtigt zu werden. Die Geschäftsbanken geben ihre Gebote dann „im verschlossenen Umschlag“ ab, d. h. keine kennt die Gebote der anderen. Jede Bank nennt die gewünschte Menge an Zentralbankgeld und den Zinssatz, den sie dafür zu zahlen bereit ist. Das Eurosystem sichtet alle Gebote und teilt dann „von oben“ zu, d. h. die Banken, die den höchsten Zinssatz bieten, werden als erste berücksichtigt, dann die Gebote mit den nächsthöchsten Zinssätzen – bis das vom Eurosystem geplante Zuteilungsvolumen ausgeschöpft ist. Gebote zum letzten noch zum Zuge kommenden Zinssatz werden gegebenenfalls nur anteilig bedient. Beim Zinstender mit Mindestbietungssatz zahlen die Banken entweder alle den gleichen Zinssatz (holländisches Verfahren) oder ihre individuell gebotenen Zinssätze (amerikanisches Verfahren).
Bis zum Herbst 2008 setzte das Eurosystem bei seinen Hauptrefinanzierungsgeschäften üblicherweise den Zinstender mit Mindestbietungssatz, begrenztem Zuteilungsvolumen und Zuteilung nach dem amerikanischen Verfahren ein.
Ein alternatives Versteigerungsverfahren ist der Mengentender. Hier werden Zinssatz und die Menge an Zentralbankgeld, die insgesamt zugeteilt werden soll, vorab festgelegt. Die Banken nennen in ihren Geboten lediglich die Menge an Zentralbankgeld, die sie zu diesem Zinssatz erhalten möchten. Übersteigt die Summe der Gebote das von der Zentralbank anvisierte Zuteilungsvolumen, werden die Einzelgebote anteilig bedient („repartiert“).
Nach Ausbruch der Banken- und Finanzkrise 2007/2008 funktionierte der Interbankenmarkt nicht mehr so reibungslos wie zuvor. Viele Banken befürchteten, Verluste zu erleiden, falls einer ihrer Geschäftspartner über Nacht illiquide oder insolvent würde. Die Banken hielten sich deshalb mit Kreditgeschäften untereinander zurück. Um sicherzustellen, dass durch diese Entwicklung nicht eine Vielzahl von Banken gleichzeitig in Liquiditätsnot gerät, ging das Eurosystem im Oktober 2008 bei seinen Refinanzierungsgeschäften zum Mengentender mit Vollzuteilung über. Bei diesen Geschäften erhalten die Geschäftsbanken zu einem vom EZB-Rat festgelegten Zinssatz jeden von ihnen gewünschten Betrag an Zentralbankgeld sofern sie ausreichend Sicherheiten stellen können, die den Anforderungen des Eurosystems genügen.
Um das von den Banken benötigte Zentralbankgeld bereitzustellen, gewährt das Eurosystem den Geschäftsbanken Kredite im Rahmen ihrer sogenannten Refinanzierungsgeschäfte. Für diese Kredite müssen die Geschäftsbanken Sicherheiten als Pfand hinterlegen. Hierdurch soll das Eurosystem gegen mögliche Verluste aus seinen geldpolitischen Geschäften geschützt werden: Zahlt eine Bank den Kredit nicht zurück, kann das Eurosystem durch den Verkauf der hinterlegten Sicherheiten die entgangene Rückzahlung ausgleichen. Sobald das Eurosystem eine Sicherheit akzeptiert, gilt diese als notenbankfähig.
Der Sicherheitenrahmen besteht aus an Wertpapiermärkten handelbaren Sicherheiten – beispielsweise Anleihen bestimmter Bonitätsklassen – sowie aus nicht-handelbaren Sicherheiten, wie etwa Kreditforderungen der Banken gegenüber ihren Kunden.
Das Eurosystem ermittelt fortlaufend den Wert der hinterlegten Sicherheiten. Für ihre Eignung zum Besichern der Refinanzierungsgeschäfte ist nicht der Nominalwert der Sicherheiten entscheidend, sondern ihr Marktwert abzüglich einer Sicherheitsmarge. Verliert eine Sicherheit während der Laufzeit des Kredits an Wert, muss der Schuldner zusätzliche Sicherheiten stellen. Als Folge der Krise akzeptiert das Eurosystem mittlerweile ein breites Spektrum von Sicherheiten.
Das Eurosystem ermittelt fortlaufend den Wert der hinterlegten Sicherheiten. Für ihre Eignung zum Besichern der Refinanzierungsgeschäfte ist nicht der Nominalwert der Sicherheiten entscheidend, sondern ihr Marktwert abzüglich einer Sicherheitsmarge. Verliert eine Sicherheit während der Laufzeit des Kredits an Wert, muss die Bank zusätzliche Sicherheiten stellen.
Neben den Offenmarktgeschäften können Banken vom Eurosystem kurzfristig Zentralbankgeld erhalten (Spitzenrefinanzierungsfazilität) oder bei ihm anlegen ( Einlagefazilität). Diese „ständigen Fazilitäten“ können von den Geschäftsbanken auf eigene Initiative und nach eigenem Ermessen in Anspruch genommen werden. Auch die beiden Zinssätze der ständigen Fazilitäten zählen zu den Leitzinsen des Eurosystems.
Sie bilden einen Zinskorridor um den Zinssatz des Hauptrefinanzierungsgeschäfts. Innerhalb dieses Korridors bewegen sich dann in aller Regel die Marktzinssätze für die Zentralbankgeldkredite zwischen den Banken (Interbankenkredite).
Auch die Zinssätze der beiden ständigen Fazilitäten zählen zu den Leitzinsen.
Der Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität bildet die Obergrenze…
Die Spitzenrefinanzierungsfazilität dient den Geschäftsbanken dazu, einen kurzfristigen Bedarf an Zentralbankgeld durch eine Art „Überziehungskredit“ beim Eurosystem abzudecken. Auch für diesen Kredit müssen die Banken Sicherheiten hinterlegen, genauso wie im Rahmen der anderen Refinanzierungsgeschäfte. Am nächsten Tag muss der durch die Spitzenrefinanzierungsfazilität gewährte Kredit wieder zurückgezahlt werden.
Der Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität ist normalerweise höher als derjenige des Hauptrefinanzierungsgeschäfts und bildet im Allgemeinen die Obergrenze für den Tagesgeldzinssatz. Denn keine Bank, die über ausreichend Sicherheiten verfügt, wird einer anderen Bank für einen Übernachtkredit einen höheren Zinssatz bezahlen, als sie bei der Zentralbank für einen Übernachtkredit aufwenden muss.
… und der Zinssatz der Einlagefazilität die Untergrenze der Zinsen am Interbankenmarkt.
Im Rahmen der Einlagefazilität können die Banken überschüssige Guthaben über Nacht auf einem speziellen Konto bei der Zentralbank zu einem festen Zinssatz anlegen. Dieser Zinssatz ist niedriger als der Zinssatz des jeweils aktuellen Hauptrefinanzierungsgeschäfts. Der Einlagezinssatz bildet im Allgemeinen die Untergrenze des Tagesgeldzinssatzes und verhindert somit ein starkes Absinken dieses Zinssatzes nach unten. Keine Geschäftsbank wird nämlich unter normalen Umständen Zentralbankgeld an eine andere Bank zu einem niedrigeren Zinssatz verleihen, als sie für ihre Einlage bei der Zentralbank erhalten kann.
Üblicherweise versuchen Geschäftsbanken, überschüssige Zentralbankgeld Guthaben am Geldmarkt an andere Banken zu verleihen. Da der Zinssatz der Einlagefazilität im Normalfall niedriger ist als der Satz für Tagesgeld am Geldmarkt, bestand für die Banken vor Ausbruch der Finanz- und Staatsschuldenkrise kein Anreiz, die Einlagefazilität in größerem Stil zu nutzen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 hat sich dies geändert: Zunächst legten die Banken aus Angst vor Ausfällen ihrer Geschäftspartner überschüssiges Geld lieber zu einem niedrigeren Zinssatz bei der Zentralbank an, als es an andere Banken zu einem höheren Zinssatz zu verleihen. Auch seit dem Beginn der umfangreichen Ankäufe von Wertpapieren durch das Eurosystem im Jahr 2015 und dem damit verbundenen drastischen Anstieg der Überschussliquidität im Bankensektor liegt viel Zentralbankgeld in der Einlagefazilität.
In geldpolitisch normalen Zeiten versorgt das Eurosystem das Bankensystem über das Hauptrefinanzierungsgeschäft gerade mit so viel Zentralbankgeld, wie das Bankensystem benötigt. Auf dem Geldmarkt wird das Zentralbankgeld anschließend zwischen den Geschäftsbanken gehandelt. Der Zinssatz für Tagesgeld (Übernachtkredite von Zentralbankgeld) liegt dann nahe am Satz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft. Dies wiederum ermöglicht es dem Eurosystem, durch Anheben oder Senken des Zinssatzes für das Hauptrefinanzierungsgeschäft auch den Zinssatz für Tagesgeld zu steuern und dadurch mittelbar alle übrigen Marktzinssätze zu beeinflussen.
Würde das Eurosystem weniger Zentralbankgeld bereitstellen als das Bankensystem benötigt, müssten sich die Banken den Fehlbetrag über die höher verzinste (und somit teurere) Spitzenrefinanzierungsfazilität beschaffen. In der Tendenz ließe dies den Tagesgeldzinssatz deutlich über den Zinssatz des Hauptrefinanzierungsgeschäfts steigen. Dieser wäre damit nicht länger der „Anker“ für die Zinssätze für Tagesgeld am Geldmarkt und die übrigen Marktzinsen.
Kommt es hingegen zu einer Überversorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld, dann fließt das Geld in die Einlagefazilität. Dadurch sinkt der Tagesgeldzinssatz (bis 2021 EONIA, seitdem €STR) unter den Zinssatz des Hauptrefinanzierungsgeschäfts – unter Umständen bis auf den Zinssatz für die Einlagefazilität. Auf dem besicherten Geldmarkt kann der Interbankenzinssatz sogar leicht darunterliegen.
In den Jahren von 2013 bis 2020 blieb die Inflationsrate im Euroraum zum Teil deutlich unter 2 %. Entsprechend senkte der EZB-Rat die Leitzinsen immer weiter, um die Inflationsrate auf das angestrebte Maß zu erhöhen. Der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft erreichte Anfang 2016 den Wert von 0 % und blieb auf diesem Niveau bis zum Sommer 2022. Auch bei einem solchen Leitzinssatz von 0 % lassen sich weitere geldpolitische Impulse setzen. So kann die Zentralbank über eine „quantitative Lockerung“ (englisch: Quantitative Easing, QE) Einfluss auf das Marktzinsniveau nehmen. Dazu kauft sie in großem Umfang Wertpapiere an, in der Regel Anleihen.
Anleihekäufe haben zwei wesentliche Effekte: Zum einen wird beim Anleihekauf Zentralbankgeld geschaffen, da die Zentralbanken die Anleihen in Zentralbankgeld bezahlen. Die Zentralbankgeldmenge (Quantität) nimmt also zu, womit grundsätzlich der Spielraum der Banken für Kreditvergaben steigt. Zum anderen steigen im Zuge der höheren Nachfrage nach Anleihen deren Marktkurse. Mit höheren Marktkursen gehen bei Anleihen gleichzeitig deren Renditen zurück, also ihre Gesamtverzinsung. Denn die Rendite am Laufzeitende einer Anleihe ergibt sich für den Anleger – neben der Zinsvergütung – aus der Differenz zwischen dem nun gestiegenen Kaufkurs und dem im Vorfeld festgelegten Rückzahlungsbetrag. Diese geringeren Renditen lassen schließlich auch das allgemeine Zinsniveau sinken. Somit ähneln die Anleihekäufe im Ergebnis dem Effekt einer klassischen Leitzinssenkung, die als geldpolitische Lockerung bezeichnet wird. Aus den beiden beschriebenen Effekten leitet sich der Begriff „quantitative Lockerung“ ab.
Die Anleihekäufe sollten die langfristigen Zinssätze senken, um das Preisstabilitätsziel zu erreichen.
Zudem führt das niedrigere Zinsniveau infolge der quantitativen Lockerung in der Tendenz dazu, dass Kapital in Länder abfließt, in denen das Zinsniveau höher ist. Solche Kapitalabflüsse lassen die heimische Währung abwerten (sinkende Nachfrage nach der inländischen Währung bewirkt sinkenden Wechselkurs), was wiederum das Exportgeschäft stimuliert. Auch dies belebt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und lässt die Preise in der Tendenz steigen. Im Ergebnis kann die quantitative Lockerung bewirken, dass die Inflationsrate steigt und sich dem angestrebten Niveau nähert.
Im Januar 2015 beschloss der EZB-Rat, mit dem „Programm zum Ankauf von Vermögenswerten“ (Asset Purchase Programme, APP) auch im Euroraum eine „quantitative Lockerung“ durchzuführen. Infolge dessen erwarb das Eurosystem in großem Umfang Anleihen privater und – mit gut 80 % des gesamten Ankaufvolumens weit überwiegend – staatlicher und öffentlicher Emittenten.
Das vom Eurosystem aufgelegte APP umfasst verschiedene Teilprogramme:
Auf das PSPP, also den Ankauf von Anleihen staatlicher und öffentlicher Emittenten, entfällt das größte Volumen unter den genannten Teilprogrammen.
Das größte Ankaufsvolumen entfällt auf das PSPP.
Für das Ankaufen der Staatsanleihen und das Wiederanlegen der Beträge aus abgelaufenen Papieren gilt im Rahmen des PSPP, dass 80 % des Volumens von den nationalen Zentralbanken übernommen werden. Hierbei konzentrieren sie sich auf öffentliche Anleihen ihres Heimatlandes. Der Ankaufbetrag jeder nationalen Zentralbank bemisst sich nach ihrem Anteil am voll eingezahlten Grundkapital der EZB, d.h. auf die Bundesbank entfallen derzeit rund 26,4 % dieser Anleihekäufe. Sollten hierbei Verluste auftreten, werden diese von den nationalen Zentralbanken selbst getragen. Die restlichen 20 % des Ankaufvolumens setzen sich je zur Hälfte aus einem Anteil der EZB und aus Ankäufen von Wertpapieren europäischer Institutionen zusammen. Hierbei auftretende Verluste wären gemeinschaftlich zu tragen.
Die monatlichen Nettoankaufvolumina des APP wurden regelmäßig angepasst. Beginnend mit 60 Milliarden Euro variierten sie von März 2015 bis Juni 2022 periodenweise in einer Größenordnung zwischen 80 Milliarden Euro und 15 Milliarden Euro. Zwischenzeitlich wurden die APP-Käufe sogar für knapp ein Jahr ausgesetzt. Insgesamt wuchs der geldpolitisch motivierte APP-Wertpapierbestand des Eurosystems auf ein Volumen in Höhe von gut 3,4 Billionen Euro.
Im Rahmen des APP erwirbt das Eurosystem in großem Umfang Anleihen.
Um eine direkte Staatsfinanzierung durch das Eurosystem auszuschließen, werden Staatsanleihen nur am Sekundärmarkt gekauft. Dies ist der Markt, auf dem bereits emittierte Anleihen zwischen den Investoren gehandelt werden, z. B. eine Börse. Es muss deshalb eine bestimmte Karenzzeit abgewartet werden, bevor das Eurosystem eine neu emittierte Staatsanleihe kaufen darf. Zugleich gelten für die Staatsanleihekäufe im Rahmen des APP bestimmte Regeln. So darf das Ankaufvolumen jeweils ein Drittel einer Emission und der gesamten Anleihen eines Euro-Landes nicht übersteigen. Darüber hinaus müssen die Staaten über eine gewisse Mindestbonität verfügen.
Der EZB-Rat hat entschieden, die Netto Ankäufe des APP zum Juli 2022 einzustellen. Seitdem werden nur noch die Tilgungsbeträge fällig werdender Anleihen wiederangelegt. Gleichzeitig hat der EZB-Rat verkündet, bei Bedarf auf ein Instrument zur Absicherung der Transmission (Transmission Protection Instrument, TPI) zurückzugreifen. Sofern nötig, kauft das Eurosystem im Rahmen des TPI Anleihen, um ungerechtfertigten und ungeordneten Renditeentwicklungen auf den Staatsanleihemärkten der Mitgliedsländer entgegenzuwirken. Hiermit soll die effektive Transmission geldpolitischer Impulse in allen Ländern des Euroraums unterstützt werden.
Im Zuge der Coronavirus-Krise beschloss der EZB-Rat im März 2020, ergänzend zum APP ein temporäres Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) aufzulegen. Diese geldpolitische Sondermaßnahme diente dazu, den Risiken für die geldpolitische Transmission durch die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie zu begegnen und das selbstgesteckte geldpolitische Ziel zu erreichen. Im Rahmen des PEPP wurden – zusätzlich zum und getrennt vom weiterlaufenden Ankaufprogramm APP – Anleihekäufe von 1.700 Milliarden Euro getätigt. Die Netto-Ankäufe im Rahmen des PEPP wurden Ende März 2022 eingestellt. Seitdem werden nur noch die Beiträge wiederangelegt, die aus fällig werdenden Anleihen des PEPP Portfolios stammen.
Die Aufteilung der Staatsanleihekäufe auf die einzelnen Länder richtete sich auch beim PEPP grundsätzlich nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken. Mit Blick auf den Zeitverlauf, die Anlageklassen und die Aufteilung auf die Länder wurden diese Käufe jedoch flexibler gehandhabt. Für die Risikoteilung und das Einstehen für etwaige Verluste galt dasselbe wie im APP: Für 20 % der Ankäufe wurden die Risiken zwischen den nationalen Zentralbanken geteilt, für 80 % der Ankäufe müssen die nationalen Zentralbanken gemäß Kapitalschlüssel einstehen.
Das Notfall-Ankaufprogramm PEPP wurde aufgelegt, um den Auswirkungen der Corona-Krise entgegenzuwirken.
Als sich die Staatsschuldenkrise im Sommer 2012 verschärfte und die Kreditwürdigkeit verschiedener Euro-Mitgliedsländer zunehmend angezweifelt wurde, hat das Eurosystem im September 2012 ein Programm zum gezielten Ankauf von Anleihen bestimmter Euro-Staaten aufgelegt, sogenannte Outright Monetary Transactions (OMT). Bei Bedarf sollten Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe angekauft werden, um das seinerzeit massiv gestörte Vertrauen der Investoren in die Bonität der betroffenen Mitgliedsländer wiederherzustellen.
Voraussetzung für den Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen des OMT-Programms ist, dass der betreffende Staat einem Programm mit wirtschaftspolitischen Auflagen des europäischen Stabilitätsmechanismus folgt („Konditionalität“). Das OMT-Programm besteht seit Herbst 2012. Das Eurosystem hat in dessen Rahmen bisher aber keine Anleihen gekauft. Es reichte die bloße Ankündigung, dies bei Bedarf in großem Umfang zu tun, um die Staatsanleihemärkte zu beruhigen.
Mithilfe der „Forward Guidance“ will die Zentralbank die Unsicherheit über den künftigen geldpolitischen Kurs reduzieren.
Als „Forward Guidance“ wird in der Fachsprache der Zentralbanken eine Kommunikationsstrategie bezeichnet, bei der die Zentralbank die Öffentlichkeit gezielt über die längerfristige Ausrichtung ihrer Geldpolitik informiert. Die Zentralbank versucht, mit einer solchen „Orientierung über die zukünftige Ausrichtung der Geldpolitik“ Unsicherheiten über den künftigen Kurs der Geldpolitik zu reduzieren und so die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte zu steuern.
Allerdings sind auch die Aussagen der Forward Guidance nicht als unbedingte Zusage über die kommenden geldpolitischen Maßnahmen zu verstehen. Vielmehr behält sich der EZB-Rat, auch beim Anwenden einer Forward Guidance vor, seine in Aussicht gestellte Geldpolitik bei unerwarteten Entwicklungen zu ändern, wenn dies zum Erhalt der Preisstabilität notwendig sein sollte.
Das Eurosystem ist ausdrücklich vorrangig dazu verpflichtet, Preisstabilität zu sichern. Die Geldpolitik bewegt sich jedoch in einem Umfeld, in dem die Entscheidungen anderer Wirtschaftsteilnehmer wie Staat, Gewerkschaften oder Unternehmen die Preisentwicklung ebenfalls beeinflussen. So wirkt sich die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Regierung auf die Konjunktur und in der Folge auch auf die Entwicklung des Preisniveaus aus. Ebenso hat die Lohnpolitik einen Einfluss.
Die Geldpolitik kann Preisstabilität nicht alleine sichern. Sie muss durch eine stabilitätsorientierte Wirtschafts-, Finanz- und Lohnpolitik begleitet werden. Der Stabilitätskurs des Eurosystems bedarf also der breiten Unterstützung durch die übrigen wirtschaftspolitischen Akteure, beispielsweise der jeweiligen Regierungen und Tarifparteien.
Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik muss insbesondere durch eine stabilitätsorientierte Finanz- und Haushaltspolitik flankiert werden, denn bei unsoliden Staatsfinanzen drohen Konflikte zwischen der Finanz- und der Geldpolitik, die das Ziel der Geldwertstabilität gefährden können. Diese Gefahr ist umso größer, je höher die Staatsverschuldung ist. Bei steigenden Staatsschulden wächst nämlich der politische Druck auf die Zentralbank, die finanziellen Lasten (Zinsen und Rückzahlung), die mit der öffentlichen Verschuldung einhergehen, durch möglichst niedrige Zinssätze erträglicher zu machen und die Schulden womöglich durch „etwas mehr Inflation“ real zu entwerten. Fährt die staatliche Haushaltspolitik dagegen einen stabilitätsorientierten Kurs, ist dieser Konflikt von vornherein entschärft. Für die Zentralbank ist es dann leichter, Preisstabilität sicherzustellen.
Die Bedeutung des Staates für die Geldpolitik rührt neben der Haushaltspolitik auch daher, dass auf den Staat ein erheblicher Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage entfällt. Er kann diese Nachfrage kurzfristig deutlich erhöhen, gegebenenfalls mithilfe kreditfinanzierter Ausgabenprogramme. Auch kann der Staat über seine Steuerpolitik sowie über die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst die Einkommen der privaten Haushalte und Unternehmen beeinflussen – und damit das Ziel der Zentralbank unterstützen oder dem entgegenwirken.
Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik haben folglich großen Einfluss auf die Konjunktur und in der Folge auch auf die Entwicklung des Preisniveaus. Die Geldpolitik wird vor allem dann erheblich erschwert, wenn diese Politikbereiche prozyklisch agieren, wenn sie also den Konjunkturverlauf und damit auch die Preisentwicklung noch verstärken, anstatt sie zu dämpfen. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn der Staat bei einer ausgelasteten Bauwirtschaft noch eine staatliche Förderung für Wohnungsbauten vergibt. Die Nachfrage würde hierdurch zusätzlich angefacht, ohne dass sich jedoch das Wohnungsangebot schnell genug ausweiten ließe. Weitere Preissteigerungen wären die Folge.
So verständlich es ist, dass Arbeitnehmer für steigende Preise auch einen Ausgleich über höhere Löhne erhalten wollen, so können übermäßige Lohnerhöhungen weitere Preissteigerungen zur Folge haben. Wenn Unternehmen die höheren Lohnkosten über höhere Produktpreise an die Konsumenten weitergeben, gehen die Lohnerhöhungen letztlich ins Leere. Um solch eine inflationäre Lohn-Preis-Spirale zu stoppen, bedarf es in der Regel schärferer geldpolitischer Maßnahmen, die nicht ohne negative Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung bleiben.